Weinland

E-Rennfahrer, Gamer und Bastler

Wenn Frau glaubt, bei Eintritt in die Volljährigkeit verlören Jungs das Interesse an Modellrennbahnen, liegt sie total falsch. Manche packt es sogar erst in höherem Alter. Wie Rolf Eigenheer.

von Silvia Müller
25. September 2020

Das Dachgeschoss in Rolf Eigenheers Wohnhaus ist ein Traumziel für Adrenalinjunkies. Dort wird gespielt – und nichts anderes. Dafür aber auf alle möglichen Arten: Altmodisch analog am Carambole-Brett oder an der Dartscheibe. Oder kombiniert analog und digital an den Flipperknöpfen und der Playstation mit riesigem Bildschirm. Dort kann man zum Beispiel ein Rennauto über den Nürburgring rasen lassen. Nicht mit einem kindischen Joystick oder dergleichen, nein, man sitzt in einem echten Autositz, drückt echte Pedale und kurbelt an einem Steuerrad. Die Illusion ist perfekt, einzig die Fliehkraft zerrt nicht am Körper.

So richtig ins Schwärmen kommt der Hausherr ein paar Schritte weiter, bei seiner 25-Meter-Rennstrecke für Carrera-Modellautos im Massstab 1:32. Jeden Abend vor dem Zubettgehen gönnt er sich darauf ein paar Runden. Nimmt eines der vielen wunderschönen Modellautos aus seiner Box und lässt es zunächst ein, zwei Runden den Staub von der Spur kratzen. Dann entstaubt er die Reifen, vielleicht schmirgelt er den Gummi sogar etwas mit Schleifpapier, und es gilt ernst.

Mit einem der Porsches schafft er die Runde unterdessen in 7 bis 8 Sekunden. Jedes seiner Autos habe andere Qualitäten. Und keines dreht im Originalzustand seine Runden, irgend etwas wird immer verbessert, sprich: getunt. «In den Chats der Carrera-Community kursieren Tausende Tipps, wie man Reifen schneller oder griffiger oder Spoiler wirksamer macht», erzählt er.

Er ist mit seiner Begeisterung also nicht allein. «Slotcars», so der englische Ausdruck, haben seit den 60er-Jahren jede Generation aufs Neue mit dem Rennfieber infiziert. Seit einigen Jahren bieten die sozialen Medien attraktive Plattformen, um das Hobby gemeinsam zu zelebrieren.

Ungestört in selbstkreierter Welt
Die Frau im Haus steht sonst auf echte Motoren und Benzindampf in der Luft. Doch inzwischen kann sie auch die Faszination von Rennbahnen im Taschenformat nachfühlen. Die Rohbauphase liess sie noch ziemlich kalt. An der Modellmesse in Friedrichshafen fing sie dann doch Feuer: «Es war unglaublich! Dort waren lauter restlos glückliche Männer jeden Alters, die sich völlig versunken mit ihren klei­nen Eisenbahnen, Dampfschiffen und Rennautos beschäftigten und so viel Liebe und Hingabe in die kleinsten Details steckten. Das hat mich überzeugt», sagt sie und lacht. Inzwischen greift sie selbst zur Fernbedienung und trainiert für gute Rundenzeiten.

Die Miniaturwelten sind oft fantasievoll und mit Akribie gebaut. Auch Rolf Eigenheers Freude nährt sich vom Drumherum und vom Bauen. Vor etwas mehr als zwei Jahren stellte er spas­seshalber die bescheidene Carrerabahn aus der Mottenkiste wieder auf. Nach einer Weile kam das Ultimatum, sie entweder zu benutzen oder wieder abzubauen. Also plante er mit der App des Herstellers eine anspruchsvollere Bahn.

Der Ehrgeiz steckt in den Details
Dann begann er, die Umgebung zu perfektionieren. Ganz traditionell mit Sagex, Leim, Holz, Farbe, Plexiglas, Kunstgras. Er lernte und perfektionierte ganz neue Basteltechniken. Seither ist er stets auf der Suche nach Materialien, die sich zweckentfremden lassen. So wurden aus Ohrenstöpseln Pylonen, aus Dichtungsband Leitplanken, aus einer Tablettenröhre eine Plakatsäule. Die Freunde steuerten liebevoll gebastelte Geschenke bei: vier Toi-Tois und eine Würstchenbude aus Holz.

Immer noch kommt laufend Neues dazu. «Ich kombiniere nach Lust und Laune gekauftes Dekor und Spielzeug wie diesen Hippiebus mit selbst gemachten Einzelteilen. Hauptsache, es macht Spass», erzählt Rolf Eigenheer.

Technische Spielereien
Eindeutig spassfördernd sind die elektronischen und computertechnischen Extras – für den Elektroniker natürlich ein Klacks. Was er mit Begeisterung erklärt, übersteigt leider komplett das technische Verständnis der Journalistin – einiges sei käuflicher Standard, anderes selbst entwickelt.

Wie auch immer – die Autos rasen durchs Lichterspiel der Tages- und Jahreszeiten und unter einer LED-Schiene durch, wo gleichzeitig Spritverbrauch, Rundenzahl und Geschwindigkeit aufleuchten. Ganz weit draussen passieren die Boliden zwei weitere Anzeigetafeln, die in Wahrheit umfunktionierte Handys sind. Um nur einige der technischen Raffinessen zu nennen.

Rolf Eigenheers rasanter Youtube-Film über den Bau und Betrieb seines «Grand Prix Rheinschleife» zeigt den Ausbaustand von Dezember 2018, passend unterlegt von Yello's Megahit «The Race» (siehe Video unten).

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