Es gibt immer was zu wandern…

Sommerserie Folge 1 - Wandern mit netten Andern – das will die Seniorenwandergruppe Marthalen-Rheinau. Lohnen müssen sich das Ziel und der Weg aber schon. Das kann auch ganz in der Nähe der Fall sein: von Lottstetten über Jestetten nach Rheinau.

Silvia Müller (sm) Publiziert: 15. Juli 2025
Lesezeit: 3 min

Regenpelerine, Schirm, Trinkflasche, Wanderschuhe, Blasenpflaster … frühmorgens alles in den Kofferraum gepackt für die Seniorenwanderung am Nachmittag. Aber plagen sich ältere Damen und Herren wirklich freiwillig raus in dieses Regenwetter? Ein Anruf bei Wanderleiter Peter Spalinger bringt Gewissheit: «Aber sicher kommen wir! Wir könnten doch nicht die Spontanen am Bahnsteig stehen lassen. Eine Anmeldung ist bei uns nämlich nicht nötig.»

Also wartet die Journalistin ein paar Stunden später gut ausgerüstet am Lottstetter Bahnhof auf den Zug aus Schaffhausen. Da, zwei Frauen und zwei Männer steigen aus. Wir erkennen uns gegenseitig am wetterfesten Tenue. Ausser mir stösst in Lottstetten niemand mehr dazu. Peter und Anna Spalinger, Paul Dubach und Heidi Fischer leben in Marthalen. Die vier wandern immer mit, wenn sie es einrichten können. 

Peter Spalinger führt uns als Erstes zu einer kleinen Unterführung. Hier, unter Dach, erklärt er die Route. «Laut Jahresprogramm wollten wir runter nach Balm und dem Ufer entlang nach Rheinau wandern, doch das wäre viel zu gefährlich. Der tagelange Regen hat die Uferwege aufgeweicht. Stellenweise könnte man direkt ins Wasser rutschen», sagt er. Er weiss es genau, denn er hat diese Tour aufwendig mit der App «Schweiz Mobil» vorbereitet. Und er hat sie schon dreimal vorbesichtigt und abgeändert, zuletzt am Morgen des Wandertags selbst. «Bei jedem Testlauf fiel eine weitere Passage nahe am Wasser weg. Wir bleiben deshalb oben und wandern möglichst auf befestigten Feldstrassen nach Jestetten.»

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Infos im Schutz von Lottstettens Bahnhofunterführung.

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Viele Autos hatten Vortritt, bis die Zollstrasse gefahrlos überquert werden konnte.

Ungewohnte Blickrichtung

Bereits munter plaudernd verlassen wir Lottstetten über die Bahndammstrasse und wechseln an deren Ende erneut auf die andere Seite der Gleise. Wir biegen auf den Weg links ein und folgen ihm bis zur stark befahrenen B27.

Hier müssen unsere Gespräche kurz pausieren, Konzentration ist nötig. Wir passieren in einem ruhigen Moment die hektische Nord-Süd-Achse und retten uns wenige Meter versetzt auf der anderen Strassenseite auf jenen kurzen Feldweg, der auf eine sanfte Kuppe und weiter zur befestigten Birretstrasse führt. Zugegeben, diese Wanderroute scheint zunächst unspektakulär – aber sie eröffnet selbst Einheimischen überraschend neue Blickwinkel.

Etwa, wenn in der Ferne Neuhausens Hochhäuser und die Chol­first­dörfer plötzlich seltsam auf Augenhöhe aufleuchten. Und Jestetten erreichen wir auf dieser fast verkehrsfreien Nebenstras­se über ein teilweise historisches Quartier, das Transit-Autofahrende zeitlebens nie kennenlernen werden. Grosses Erstaunen, als wir aus einem Winkelsträsschen treten und plötzlich mitten an Jestettens Hauptkreuzung stehen!

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Weil der Rheinuferweg zwischen Balm und Rheinau schlecht passierbar war, wich die Wandergruppe auf diese Route landeinwärts aus. | Karte: az

Bahnhof ermöglicht Abkürzung

Hier beraten wir uns. Denn Paul Dubach ist mit 87 Jahren der Senior heute, und er hat sich die Option offengelassen, in Jestetten den Zug nach Hause zu nehmen. Doch nun fühlt er sich frisch, er will weiterwandern. Erfreut suchen wir über Jestettens Kirch- und Winkelstrasse den Weg Richtung Friedhof.

Die Strasse dort heisst «Beim Bildstock», und wirklich animiert uns eine steinerne Muttergottesstele von 1676 zu einem Erinnerungsfoto. Zumal im Hintergrund die burgähnliche Friedhof­anlage mit der 1668 geweihten Loreto-Kapelle zu sehen ist, die offenbar mit sehenswertem Altar und Gemälden aufwarten kann. Mich juckt es, auch diese lebenslang verpasste Entdeckung sogleich nachzuholen, doch meine Wandersleute zieht es daran vorbei.

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Anna und Peter Spalinger (von rechts), Heidi Fischer und Paul Dubach beim Jestetter Bildstock. Im Hintergrund der Friedhof und die Loreto-Kapelle. | Silvia Müller

Am Ende des Schlesierwegs nehmen wir das landwirtschaftliche Strässchen rechts. Es führt uns in langem Bogen Richtung Norden. Vor dem ersten gros­sen Bauernhof am Nassenweg wechseln wir auf den Feldweg Richtung Rhein. In der Kurve beim Rheinhang nehmen wir den Fusspfad, der rechts hinab zur Rheinauer Zollbrücke führt. Von hier aus sind es nur noch wenige Schritte in einen Gasthof und zur Postautohaltestelle.

Nun ist nicht nur Paul Dubach zufrieden, am Ziel zu sein. Die Spazierwanderung war zwar angenehm flach und dauerte wenig mehr als zwei Stunden. Aber die neuen Eindrücke reichen fürs Erste. Und sie liegen ja so nahe, dass wir sie jederzeit auffrischen könnten. Mit lieben Mitwanderern oder ganz allein. Hauptsache unterwegs!

«Uns geht es ums Zusammensein»

Peter und Anna Spalinger leiten im Wechsel mit Esther Mischler die Pro-Senectute-Wandergruppe Marthalen-Rheinau. Das Jahresprogramm bietet monatliche Spazierwanderungen und rund dreimal pro Jahr eine Ganztageswanderung. «Seniorenwanderleiter brauchen eine sechstägige Grundausbildung und machen jedes Jahr eine grosse gemeinsame Wanderung zur Weiterbildung», erzählte Anna Spalinger unterwegs (siehe Haupttext).
 
Im Kurs lerne man nicht nur, die Route gründlich vorzubereiten, sodass sie der Fitness der Teilnehmenden entspreche: «Wir üben auch den Umgang mit Notfällen und haben immer eine Notfallapotheke dabei», erklärte sie.

In dieser Wandergruppe interessieren sich rund 20 Personen für die sportlicheren Routen (2 bis 2,5 Stunden in zügigem Tempo und mit Steigungen), rund 10 Personen für die gemütlichen (60 bis 90 Minuten in flachem Gelände). Die Teilnehmer bezahlen einen Unkostenbeitrag von 5 Franken, und weitere 2 Franken kommen der Pro Senectute zu. «Die ÖV-Tickets besorgt jeder selbst, und einen Zmittag oder die Verpflegung organisieren wir nie, höchstens einen Kaffeehalt», erklärte Peter Spalinger. 

«Als Kind weckte mich der Vater jeden Sonntag um vier Uhr zum Wandern. Damals war es ein Zwang für mich. Heute mache ich es freiwillig», erzählte er und lachte. «Die Seniorenwanderungen machen uns Freude. Die Leute sind immer zufrieden mit den Routen und schätzen das Zusammensein sehr.» Für manche Alleinstehende seien die Wanderungen wichtige Gelegenheiten zum Austausch. Gesprächsstoff ergebe sich unterwegs wie von selbst. «Wer es gerne ruhiger hat oder sich lieber unter vier Augen unterhalten möchte, läuft einfach ein paar Meter voraus oder hinterher.»
 
Das Angebot ist öffentlich, willkommen sind alle, unabhängig vom Wohnort. Und eine Anmeldung braucht es nicht – das lässt Spielraum für die Tagesform oder das Tageswetter.

Wandern mit netten Andern


Für die Sommerserie 2025 macht sich das Team der AZ auf die Socken. Wir begleiten Weinländer Wandergruppen auf schöne Touren in der Region. Viel Freude beim Lesen und Nachwandern! (az)

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