Weinland

Eulen raubten Bewohnern den Schlaf

Seit einigen Wochen betteln junge Waldohreulen mitten im Ort lautstark um Futter und sorgen bei vielen für eine gestörte Nachtruhe. Auf einer Exkursion durchs Dorf lernten Interessierte vieles über die nachtaktiven Tiere.

von Christina Schaffner
21. Juni 2022

Die Schreie sind laut und schrill. Sie wiederholen sich im Minutentakt. Zahlreichen Dorfemern raubten sie in den letzten Wochen die Nachtruhe. «In der ersten Nacht dachte ich, da schreit ein Tier um sein Leben», sagt Brigitte Michel Schug, in deren Garten mitten im Ort die Waldohreulen wahrscheinlich gebrütet haben. Als sich die akustische Beschallung auch in der nächsten Nacht wiederholte, recherchierte sie im Internet nach dem Grund – und sah die Tiere erstmals in ihrem Nussbaum sitzen, unter dem sie mit der Familie frühstückte.

Zahlreiche weitere Dorfemer, vor deren Schlafzimmerfenstern sich die Tiere tagelang niederliessen, informierten sich ebenfalls. Eine Frau meldete sich schliesslich bei Birdlife und erhielt anschliessend einen Anruf von Sophie Baumann, Präsidentin des Naturschutzvereins Flaachtal.

Exkursion zu den Waldohreulen
Diese ist über die Meldung hocherfreut, brachte doch die Kartierungssuche nach Eulen an den Waldrändern von Dorf zuvor keinen Fund. Spontan organisierte Sophie Baumann deshalb für Sonntagabend eine Exkursion für Interessierte, zu der auch der Leiter der Greifvogelstation, Andreas Lischke, kam. Gut 20 Männer und Frauen wollten dabei Näheres erfahren, darunter auch befreundete Kollegen vom Naturschutzverein Neftenbach.

Da nicht sicher war, ob die jungen Eulen noch zu finden sind – sie sind schon recht gross, und ihr Bewegungsradius hat sich entsprechend vergrös­sert – brachte Andreas Lischke eine ausgestopfte Waldohreule mit.

Die Eulenartigen, wozu auch Käuze und Uhus gehören, jagen alle nur nachts. Zur Hauptnahrung der Waldohreulen gehören Mäuse und kleine Nagetiere, weshalb sie nur in guten Mausjahren brüten, wie Andreas Lischke erklärte. Da ein schlechtes Mausjahr sei, sei die Brut umso erstaunlicher. «Wir haben allein an diesem Wochenende fünf junge Hungervögel in die Greifvogelstation bekommen», erklärte er. Wenn die Eltern nicht mehr genug Nahrung finden und die jungen Taggreifvögel im Nest hungern, hüpfen sie heraus. Wenn ihnen dann nicht geholfen wird, überleben sie die nächste Nacht nicht, so der Fachmann.

Junge Eulen sitzen lassen!
Anders ist das bei Eulen. Nach zwei bis drei Wochen im Nest klettern die Jungen heraus und werden zu «Ästlingen». Sie klettern und flattern hüpfend auf dem Baum umher. Damit die Eltern sie finden, beginnen sie mit den lautstarken Bettelrufen, die bis zu 700 Meter weit zu hören sind. Wer ein solches Jungtier sieht, sollte es auf jeden Fall sitzen lassen: Es wird noch rund sechs Wochen weiter von den Eltern ver­sorgt – auch wenn es ganz allein in einem Baum hockt.

Die Beute orten die Eulen vor allem übers Gehör, wobei der Federkranz ums Gesicht als Trichter dient. «Sie können dank des Gehörs ihre Beute exakt orten, die Augen brauchen sie nur, um nirgends dagegen zu fliegen», so Andreas Lischke. Dank der speziellen Federform bewegen sie sich im Flug absolut lautlos.

Mehr Nahrung in Siedlungen
Im Gegensatz zu anderen Eulen, die in Höhlen brüten, nutzen Waldohreulen alte Krähen- oder Elsternnester. Die Nistplätze im Siedlungsgebiet nutzen die Tiere heute, weil dort das Nahrungsangebot besser ist als auf freier Fläche. Im hohen Gras finden sie die Mäuse nicht; auf zigfach geschnittenen Wiesen aber auch nicht. «Viele Gärten wurden vom Nutzgarten zur Parklandschaft, die Städte werden zur neuen Wildnis», so Andreas Lischke. Im Flaachtal sind Bruten in Dörfern aber bisher selten bemerkt worden. Neben der aktuellen in Dorf gab es letztes Jahr eine von Waldkäuzen in der Nähe der Greifvogelstation.

In der Hoffnung, noch etwas von den jungen Waldohreulen in Dorf zu sehen, machte sich die Gruppe im Dunkeln auf den Weg zu bekannten Aufenthaltsorten der Vögel. Und tatsächlich konnten die Schreie von zwei Jungvögeln ausgemacht werden. Einer fand wohl auch Gefallen an der Gruppe, flog im Bogen um sie herum und präsentierte sich auf einem Mast. Seine Bettelrufe waren gut zu hören, ein Elterntier kam aber nicht. Also flog er weiter, um am nächsten Ort wiederum nach Nahrung zu rufen.

Bald Ende der Bettelrufe
Die schlaflosen Nächte der Bewohnerinnen und Bewohner sind bald vorbei. Der Bewegungsraum der Jungvögel ist inzwischen gross, wodurch sich die Rufe verteilen. Sobald sie selbständig sind, was nur noch wenige Tage dauern dürfte, hören die Bettelrufe ganz auf.

Aber die Dorfemer haben die Rufe, sobald sie wussten woher und war­um sie kommen, nach den ersten Nächten kaum noch gestört. Brigitte Michel Schug würde sich sogar freuen, wenn die Waldohreulen auch nächstes Jahr wieder bei ihr brüten: «Das ist doch etwas ganz besonders Schönes, die Tiere in der Nähe zu erleben.»

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