Weinland

Familiensonntag? Hausmusik!

Wenn vier Teenager freiwillig und oft zur familieninternen Hausmusik antraben, wurde wohl schon vor Jahren einiges richtig gemacht … Toni und Moni Fürst haben ihre Kinder immer wieder «ins Boot geholt.»

von Silvia Müller
21. Januar 2022

Es ist abgemacht: Bis 17 Uhr hat jedes Familienmitglied Zeit für seine eigenen Vorhaben und Aufgaben, dann trifft man sich im Musikraum auf dem extra dafür umgebauten Heuboden. Robin Fürst (20) setzt sich hinters Schlagzeug, Benjamin (18) stimmt den Bass, Marina (16) richtet das Mikrofon für die Gesangsstimme ein. Wie die anderen spielt auch sie mehrere Instrumente, in ihrem Fall Flöte, Klavier und Schlagzeug. Doch am Klavier wärmt sich heute Vater Toni auf. Auch Mutter Moni singt, hat aber vorerst frei, solange die anderen zusammen ein fünfstimmiges Jazz-Stück mit dem Titel «Way back home» einüben.

Komponiert hat es Julian (18). Er spielt die Trompetenstimme und liefert auch allen anderen ihre Noten und Texte. 12 volle A4-Seiten, die fünf Stimmen sauber übereinander dargestellt und auskomponiert. Julians Fleiss ist unübersehbar und hat einen guten Grund. Er wird «Way back home» bald als Abschlussprojekt an der Kantonsschule Rychenberg Winterthur abgeben.

Wie jede Maturitätsarbeit wird sie mehrfach benotet – die kompositorische Arbeit zählt ebenso wie der schriftliche Teil über den Projektverlauf und theoretische Fragen. Im dritten Punkt ist Julian zudem voll auf seine Geschwister angewiesen: Zur Aufgabe gehört es, das Stück einzu­proben und für die Jury aufzunehmen. Dafür üben sie seit ein paar Wochen.

«Sie kannten ja gar nichts anderes»
Die Familie ist entsprechend ernsthaft bei der Sache. «Unsere Motivation wächst deutlich, sobald wir ein festes Ziel und ein Datum haben», sagt Vater Toni. Das sei schon so gewesen, als die Kinder noch klein waren und erst Kinderlieder sangen oder, etwas später, Blockflöte lernten. Schon dieses Blockflötenquintett habe sich immer möglichst auf einen bestimmten Auftritt vorbereitet. Die Fürsts spielten an Familienfesten, an Partys, Weihnachtsfeiern, an Konzerten der Musikschule … «genau diese Auftritte fanden wir Kinder aber im Fall nicht so lustig», sagt Schlagzeuger Robin.

«Du warst ja zwischendurch auch etwas schwieriger zu überzeugen», antwortet ihm die Mutter und lacht. «Unsere Familienproben liefen nämlich nicht immer so harmonisch ab, wie man heute Abend glauben könnte», sagt sie in Richtung der Journalistin. «Als Robin und auch Julian noch klein waren, machten sie immer wieder mal nicht mehr mit und legten sich einfach faul auf den Boden oder verschwanden in ihr Zimmer», erklärt sie – stets eine heikle Situation, weil möglicherweise ansteckend.

«Wir Eltern haben nicht aufgegeben. Mit einem Mix aus eigener Motivation, Überredungskunst und Standhaftigkeit haben wir am Sonntagstermin festgehalten. Selbst wenn daraus nur knapp eine halbe Stunde wurde», sagt Moni Fürst. Hauptsache, die Freude nicht verderben. Durststrecken und Hänger gehören zum Musizieren, die Kinder lernen, dass das vorbeigeht, dass es sich lohnt, dranzubleiben. «Sie kannten allerdings auch gar nichts anderes. Für sie gehörten Familie und Musik einfach zusammen.»

Eine Tradition aus Vorarlberg
Dass die Erwachsenen am gleichen Strick zogen, half bestimmt auch. Der in Bregenz geborene Anton Fürst ist selbst in einer Hausmusik-Familie aufgewachsen, die sei aber «ganz anders» gewesen: «Wir waren sechs Geschwister und spielten nur Klassik, drei von uns sogar in Orchestern», erzählt er. Im Nachhinein sei seine Kindheit «ohne das gemeinsame Musizieren unvorstell­bar», und er habe es mit seinen eigenen Kindern weiterführen wollen – aber nicht mit klassischen Stücken und nicht mit schwierig zu lernenden Ins­tru­menten wie Cello und Geige: «Beides sind recht hohe Hürden. Mit modernen Stücken und Instrumenten klingt eine Familienband viel schneller gut.»

Die Musik solle ja Freude und Gemeinsamkeit schaffen. Deshalb übe die Familie meistens Covers ein – das heisst, sie spielt Stücke und Hits nach, die ihr gefallen. Und weil alle auch sehr sportlich seien, lasse man die Sonntagsprobe auch mal zugunsten des Sports ausfallen.

Zum Schluss die Gretchenfrage
Bleibt zum Schluss nur eins: die Kinder zu fragen, ob sie Papas Sicht wirklich teilen. Planen sie, ihre eigenen Kinder dereinst auch zur Hausmusik heranzuziehen? Die vier tauschen untereinander ein paar Blicke und nicken dann simultan «Ja». Nun gucken sich die Eltern ihrerseits kurz an. Liegt da etwa Überraschung in ihren Augen?

Beim Abschied, an der Garderobe, ein halb geflüstertes Kompliment von Mutter zu Mutter: «Gratulation, Frau Fürst! Das gelingt wohl nur wenigen Eltern.» Sie sagt, schon fast verlegen: «Es war ja auch nicht immer ganz einfach. Dass sich vorhin alle vier so klar dahintergestellt haben, hat mich ehrlich gesagt selbst etwas überrascht.» Manche Ernten fährt man eben nicht im Jahr der Saat ein. Dafür umso reichlicher, wenn die Zeit reif ist.

Dem Adel abgeguckt

Besonders im 18. und 19. Jahrhundert gehörte das Musizieren in den (gross-)bürgerlichen Haushalten zum guten Ton. Die wohlhabenderen Bürger machten dies dem Adel nach und pflegten mit Musik­abenden zugleich die Kunst, das soziale Leben und das eigene Prestige. Die Hauskonzerte wurden deshalb oft im grossen Kreis zelebriert und Virtuosen eingeladen. Für das Publikum und für die Musizierenden waren die Einladungen in die Musik­salons ein attraktiver Teil des gesell­schaft­lichen Lebens.

Das Musizieren gehörte folglich zur standesgemässen Ausbildung. Bald unterrichteten Musikvereine und Musikschulen auch das gewöhnliche Volk darin. Noch bis vor wenigen Jahren waren «Stubeten» und Hausmusik vor allem in der Volks­musik weit verbreitet. (sm)

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