Weinland

Im Juni gibt es zwei Schlossgärtner

Der «alte» geht, der «junge» kommt – im Juni arbeitet Schlossgärtner Christian Rüegsegger seinen Nachfolger Lukas Roggensinger ein.

von Silvia Müller
27. Mai 2022

Als Christian Rüegsegger vor 33 ½ Jahren die Verantwortung für den Andelfinger Schlosspark übernahm, musste er anfangs noch Gemüse für die Küche des damaligen Altersheims im Schloss und Schnittblumen anbauen. «Zum Glück konnte ich anstelle der unrentablen Gemüsebeete bald den Kräutergarten anlegen, der heute so viele Gäste erfreut», sagt er. Nun gibt er den Stab an Lukas Roggensinger aus Rickenbach weiter, und wieder sei auf den 1,5 Hektaren «vieles nicht unantastbar, aus­ser den grossen Bäumen».

Den ganzen Juni über arbeiten die beiden Seite an Seite, um Lukas Roggensinger mit den Besonderheiten des Schlossparks vertraut zu machen. Danach tritt Christian Rüegsegger in den Ruhestand, und Lukas Roggensinger wird der neue Gärtner im Park, meist mit Garette und stets alleine unterwegs.

Vom Gross- zum Einmannbetrieb
«Das wird der wohl grösste Wechsel meines Berufslebens. Zum ersten Mal seit 23 Jahren werde ich immer allein arbeiten», sagt er. Und ja, er hoffe, dass auch er bis zur Pensionierung bleibe. «Solche Stellen sind in der Branche zur absoluten Rarität geworden.» Christian Rüegsegger legt nach, dass «weiterhin so viel Kontinuität ein Glücksfall für den Park wäre». Denn hier brauche es einen Gärtner, «wie man ihn sich früher vorstellte: einen Allrounder, Handwerker, Gestalter und Züchter mit Begeisterung für die Aufgabe». Das sei komplex und nicht jedermanns Sache. Die Branchenentwicklung laufe «in eine ganz andere Richtung».

Seit 1999 arbeitete Lukas Roggensinger als Gärtner in der Kartause Ittingen. Die Kartause zählt zu den drei grössten landwirtschaftlichen Betrieben im Kanton Thurgau und beschäftigt 150 Mitarbeiter, die Gastronomie und das Kunst- und Klostermuseum mitgezählt. Zudem finden dort 60 Menschen mit IV-Rente eine betreute Arbeit, unter anderem bei Gruppenleiter Lukas Roggensinger in der Gartenanlage des einstigen Klosters.

Ein paar Tricks des Vorgängers
«Allein zu arbeiten war bisher die gros­se Ausnahme, und nun wird es mein Alltag», sagt er. «Das hat ganz sicher auch sein Gutes. Der Fall ist klar: Wenn ich hier etwas nicht erledige, macht es sonst niemand. Und den Takt bestimme ich in Zukunft selber. Bis jetzt hing vieles auch von der Tagesform meiner Hilfskräfte ab.» Die Klienten seien zwar nicht immer speditiv, aber eben doch auch in vielem eine Hilfe.

«Hier im Schlosspark wirst du schnell lernen, wie du allein Dinge schaffst, für die man eigentlich Hilfe braucht. Ein paar meiner Tricks werde ich dir vielleicht noch verraten», sagt Christian Rüegsegger, und die beiden lachen.

Botanisch ein anderes Konzept
Auch botanisch unterscheiden sich die beiden Publikumsanlagen. Die Kartause ist vorwiegend ein mittelalterlicher Garten, der Schlosspark mehrheitlich ein Landschaftsgarten. «Ich bin froh, dass wir beide uns schon siebzehnmal treffen konnten, um saisonale Themen zu besprechen. Hier sollte ja nichts bloss deswegen umgekrempelt werden, weil ich unfreiwillig etwas verpasst habe», sagt der angehende Schlossgärtner. Er wolle sich Zeit lassen, alles gründlich kennenlernen, denn das hier habe ja System. «Was aber nicht heisst, dass du nichts ändern darfst», wirft Christian Rüegsegger ein. Er selbst habe damals sehr viel geändert, und sein eigener Vorvorgänger, Konrad Herter, habe ihm dabei «nie auch nur ein Wörtchen dreingeredet», obwohl dieser Pensionär im Altersheim war und jeden Tag kurz vorbeischaute. Das sei ihm unvergesslich, und er hoffe, den eigenen Rückzug nun auch so gut zu schaffen.

Vieles erst später lieben gelernt
Nach drei Jahrzehnten Christian Rüegsegger trägt denn auch vieles im Schlosspark dessen Handschrift, etwa die exotischen Kübelpflanzen und die Bananenstauden im Rasen, und natürlich seine weitherum bekannte Salbeisammlung und -zucht. «Nicht alles davon habe ich am Anfang mit Enthusiasmus gemacht, doch schon bald bekam ich immer mehr Freude am neuen Mix», gibt er zu. Zum Beispiel habe er als junger Gärtner mehr aus der Not auf die heute so typischen exotischen Pflanzen in Kübeln umgestellt, die im Winter ins schützende Gewächshaus müssen. «Ich hätte mich lieber aufs Freiland konzentriert, aber meinem Vorgänger waren in den strengen Wintern in den Achtzigerjahren alle Kübelpflanzen erforen. Deshalb konnte ich, musste aber auch, diesen Bereich ganz neu planen.»

Auf Medieninteresse gefasst sein

Noch etwas ist für Lukas Roggensinger in Andelfingen anders als an seinem bisherigen Arbeitsplatz in der Kartause Ittingen: Der umgängliche Schlossgärtner Christian Rüegsegger ist zum Liebling der Medien geworden, und nicht nur der lokalen. Nachdem 2021 zuerst das umstrittene Kunstwerk von Roman Signer viele Leute anlockte und zwei Monate später das Hochglanzheftli «Landliebe» dem Gärtner und dem Schlosspark sogar ganze 22 Seiten widmete, «räbelte» es jeweils von Leuten.

«Aus Erfahrung weiss ich, dass diese Stürme schnell vorüberziehen. Schon wenige Tage später kann ich wieder ungestört arbeiten», erzählt Rüegsegger. Beides, der Handschuh und die Landliebe, sei für den Schlosspark «ideal» gewesen. Johannes Herter, der kürzlich verstorbene Sohn von Konrad, habe für den Schlosspark jahrzehntelang und auf hervorragende Art genau das gemacht: «Öffentlichkeitsarbeit, Konzepte, und nochmals Öffentlichkeitsarbeit. Es braucht extrem langen Schnauf, um die Bekanntheit und den Wert eines Parks zu steigern. Da kommt ein bisschen Schützenhilfe immer recht.»

Lukas Roggensinger lacht und sagt, an Trubel und an umstrittene Kunst sei er in der touristischen Kartause ebenfalls gewöhnt – «ich hoffe einfach, ich gerate hier deswegen nie zwischen irgendwelche Fronten.» Ganz sicher verrät ihm Christian Rüegsegger auch diesbezüglich noch den einen oder anderen Trick.(sm)

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