Weinland

Kinderbuch soll Hemmschwellen aufweichen

Freundschaft und Behinderung bestimmen die Handlung im interaktiven Kinderbuch von Melanie Spescha. In nur acht Monaten setzte sie ihre Idee dazu um und hält nun die druckfrischen Exemplare in der Hand.

von Christina Schaffner
01. März 2022

Melanie Spescha hat alles selber gemacht: die Bilder in ihrem Buch gezeichnet, die Geschichte geschrieben sowie die Bastel- und Spielanleitungen entworfen und ausprobiert. Einzig das Cover entwarf ein Profi, und die Fotos darin machte ihr Vater. Herausgekommen ist ein ansprechendes interaktives Kinderbuch über Freundschaft und Behinderung mit dem Titel «Keiner zu klein, ein besonderer Freund zu sein».

Nur acht Monate brauchte die 27-Jährige für die Umsetzung ihres Herzensprojekts – neben einem 100-Prozent-Job, wie sie erzählt: «Manchmal habe ich bis spät in die Nacht daran gearbeitet und musste morgens wieder früh zur Arbeit.» Zum Glück hätten Freund und Familie sie dabei sehr unterstützt.

Zeichnen erst entdeckt
Dabei zeichnet die junge Frau erst seit dem ersten Lockdown. «Da habe ich entdeckt, dass mir das Spass macht», erzählt sie. Alle Seiten des Buches entwarf sie von Hand auf Papier, scannte sie ein und colorierte sie anschliessend am Computer.

Im nun frisch aus der Druckerei gelieferten Buch lernt Elefant Eli auf einem Spaziergang sechs Tiere kennen, die anders sind als andere. Alle sind trotz Handicap einzigartig und glücklich, so wie sie sind. Da ist das Känguru, das nur eine Hand hat und zwei Fussprotesen trägt, ein Bär, der im Rollstuhl sitzt, ein Hund mit Gehhilfe, eine Katze mit Sauerstoffschlauch, ein Affe, der nichts hört, und ein Papagei, der nichts sieht.

Gemeinsam mit anderen Tieren bereiten sie ein grosses Fest vor, bei dem auch die beeinträchtigte Tiere Aufgaben übernehmen, die man ihnen nicht zugetraut hätte: Der Papagei dekoriert, der Bär verteilt zusammen mit dem Hund Flyer, das Känguru näht einhändig Kostüme, und der gehörlose Affe übernimmt als DJ die Musikauswahl. Am Ende des Buches hat Melanie Spescha zehn Porträts von Kindern eingefügt, die mit genau solchen Beeinträchtigungen leben. Dabei steht nicht ihre Behinderung im Vordergrund, sondern ihre Vorlieben und Hobbys. Zur Ergänzung gibt es auf ihrer Website 60 Spiel- und Bastelanleitungen mit 20 Vorlagebögen, die im Buch erwähnt werden.

Nur positive Formulierungen
«Ich habe bewusst auf Formulierungen wie ‹kann nicht› verzichtet und Beeinträchtigungen positiv formuliert», sagt die in Dorf aufgewachsene junge Frau. Die Sozialpädagogin will mit dem Buch aber nicht nur behinderten Kindern helfen, sich als einzigartig und gut wahrzunehmen, sondern auch Hemmschwellen abbauen. Oft habe sie gesagt bekommen, wenn sie von ihren Praktika in Sonderschulen mit beeinträchtigten Kindern erzählte, «das könnte ich nie». Da spürte sie jeweils grosse Unwissenheit und Berührungsängste beim Gegenüber.

Die möchte sie abbauen. «Kinder gehen mit dem Thema unbedarft um. Indem Erwachsene ihnen das Buch vorlesen, erfährt auch der Vorleser mehr darüber», so ihre Idee. Die ersten Rückmeldungen seien sehr positiv – von Kindern mit und ohne Handicap. Vor allem die Porträts am Ende des Buches seien beliebt. Behinderte Kinder erkennen, ich bin gar nicht allein mit meiner Behinderung. Solche ohne Beeinträchtigung erleben, was die anderen alles können.

Gesellschaft öffnen für Behinderte
Während ihrer Ausbildung zur Sozialpädagogin und ihrer Praktika habe immer das Ziel im Vordergrund gestanden, die Kinder und Jugendlichen zu befähigen, in unserer Gesellschaft zu leben. «Damit das funktioniert, muss auch die Gesellschaft befähigt werden, damit umzugehen», ist Melanie Spescha überzeugt.

Offen auf behinderte Menschen zuzugehen, fehle oft aufgrund der Berührungsängste und des fehlenden Wissens. «Verhaltensmuster aufzubrechen, ist sehr schwierig», weiss sie. «Um langfristig etwas zu bewirken, muss man im Kleinen ansetzen.» Am besten bei den Kindern, damit es für sie selbstverständlich wird, mit Behinderten aufzuwachsen.

Bei Nachfragen in Kindertagesstätten, Schulen und speziellen Einrichtungen erfuhr sie zudem, dass es wenig Bücher dieser Art gibt, um Kindern Handicaps näherzubringen. Oft seien diese auf eine Beeinträchtigung spezialisiert. Deshalb sei sie überall auf Begeisterung gestossen, wenn sie von ihrem Buchprojekt erzählte, und erhielt von In­sti­tu­tio­nen grosse Unterstützung. Die Stiftung «Denk an mich» gab Geld für den Druck, andere vermittelten Kontakte zu Kindern für die Porträts.

Spende an Förderverein
Das im Eigenverlag erschienene Buch ist bisher nur über die Website der Autorin zu beziehen. Vielleicht kommen noch kleinere Buchhandlungen der Region hinzu, die Melanie Spescha in nächster Zeit anfragen will.

Vom Verkaufserlös spendet sie fünf Franken an den Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten. Dieser hat das Buch an alle seine 700 Mitgliederfamilien verschickt und Melanie Spescha mit Rat und Tat unterstützt. «Der Verein fördert genau das, was ich mit meinem Buch erreichen will», sagt sie, «deshalb will ich ihm auf diese Art etwas zurückgeben.»

«Keiner zu klein, ein besonderer Freund zu sein»
39 Franken inklusive Versand und 5 Franken Spende

www.minimovers.ch

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