Weinland

Märkte absagen «ist die schlechteste Variante»

Jürg Diriwächter ist Präsident des Schweizerischen Marktverbands und somit oberster Markthändler. Dass reihum Märkte abgesagt werden, macht dem Waltalinger zu schaffen. Es gäbe andere Wege, sagt er.

von Roland Spalinger
08. September 2020

«Vo de Doris» sind die Öpfelchüechli schon lange nicht mehr. 1989 haben die Eltern von Ilona Diriwächter, die das Schloss Schwandegg in Waltalingen führten, das Geschäft von Doris Züger aus Uesslingen übernommen. Der Name «Öpfelchüechli vo de Doris» ist geblieben, das Rezept auch, hinter der Friteuse stehen seit 2003 sie oder ihr Mann Jürg Diriwächter.

Ausser in diesem Jahr. Seit sie am 23. Dezember vom Winterthurer Weihnachtsmarkt auf dem Neumarkt weggefahren sind, haben sie nicht mehr gearbeitet. Kein einziger Markttag kam hinzu. Und trotzdem hat Jürg Diriwächter mehr zu tun – er ist seit elf Jahren Präsident des Schweizerischen Marktverbands mit 650 Mitgliedern. Er übt sich als Krisenmanager.

Treffen mit Bundesrat
Sitzungen, Gespräche mit dem Direktor des Gewerbeverbands, Telefonate – auch mit Bundesrat Guy Parmelin sass er schon an einem Tisch. Das Paradoxe: Märkte fallen nicht unter das Veranstaltungsverbot und dürfen seit dem 11. Mai stattfinden. «Wir gehörten zu den ersten, die ein Schutzkonzept erarbeitet hatten», sagt Jürg Diriwächter. Und dieses habe seither nur minimal angepasst werden müssen. Gross zum Einsatz kommt es trotzdem nicht, obwohl sie unermüdlich dran seien. Trotz Empfehlung der Zürcher Regierungsrätin und Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli an den Zürcher Gemeindepräsidentenverband, Märkte durchzuführen, um die Not der Marktfahrer zu lindern, hagelt es Absagen. Fast täglich wird der Kalender mit Märkten ausgedünnt. Vor allem, wenn diese mit einer Chilbi oder Festwirtschaften kombiniert sind.

Im Zweifel leider nein
Auch die Märkte im Weinland wurden abgesagt («AZ» vom 28.8.2020). In Stammheim hatte sich Jürg Diriwächter persönlich starkgemacht für eine Durchführung. Ohne Erfolg. Er sei niemandem böse, sagt er. Aber enttäuscht. Gemeinden könnten oder wollten die Verantwortung nicht tragen, weiss er. Verschärfend hinzu komme eine gewisse Gruppendynamik, nicht die einzigen sein zu wollen, die trotz Corona einen Markt zugelassen hätten, und sich dann bei einer Ansteckung erklären zu müssen. Im Zweifelsfall hätten sich viele für eine Absage entschieden, um auf der sicheren Seite zu sein.

Er verstehe das schon, sagt Jürg Diriwächter. Aber jeder Markt, der stattfinden würde, wäre ein Zeichen. Und das Bedürfnis sei da, das sei überall dort zu sehen, wo Stände aufgestellt seien. Deshalb wurden Sektionen des Verbands selber aktiv, suchten und fanden Plätze etwas ausserhalb, so gemacht im sanktgallischen Altstätten, und hatten Erfolg. Die Stammkunden kamen. Es spreche ja auch wirklich nichts dagegen unter freiem Himmel, wiederholt er.

Markthändler sind flexibel
Seine Mitglieder könnten und wollten arbeiten, anstatt beim Staat um finanzielle Hilfe zu bitten, die nicht komme. Wobei an diesem Gang kein Weg mehr vorbeiführe: Der Marktverband verlangt Erwerbsausfall, Hilfe bei Härtefällen und A-fonds-perdu-Beiträge, zumal er bis Mitte 2021 kaum eine Verbesserung sieht. «Sonst geht die ganze Branche kaputt», befürchtet er. Ein paar Ältere hätten schon aufgegeben, ein anderer sein Zugfahrzeug verkauft. Gross über die Finanzen gesprochen werde aber nicht. Markthändler seien flexibel und würden sich immer wieder anpassen – dies müssten sie fast an jedem Stellplatz unter Beweis stellen.

Dass das Albanifest und die Olma abgesagt wurden, Messen oder Veranstaltungen mit grossem Publikumsaufkommen, versteht er. Das sei nicht handhabbar. Jahrmärkte aber könnten stattfinden. Als stossend empfindet er, wenn der Verband nicht in die Entscheidung eingebunden wird. Natürlich hätten sie eine andere Sicht, aber auch viel Erfahrung. «Absagen ist die schlechteste Variante», so Jürg Diriwächter. War­um das so ist, wird er auch am internen Höck des Stammer Gewerbes am 11. September erklären.

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