Weinland

Mit altem Camper nach Paris

Wenn Uschi mit ihrem grasgrünen Citroën HY um die Ecke biegt, folgen ihr viele Blicke. Mit dem zum Camper umgebauten Lieferwagen ist sie im Sommer jede freie Minute unterwegs.

von Christina Schaffner
16. Juli 2019

Grünes Wellblech, gelbes Dach, kleine Fenster – so präsentiert sich der Citroën HY von Uschi. Kommt sie damit auf einen Campingplatz oder hält sie an einem See, sind ihr neugierige Blicke sicher. «Viele kommen und fragen, ob sie mal einen Blick hineinwerfen können», erzählt Uschi.

Diesem Wunsch kommt sie meist nach, ist sie doch stolz auf das alte Gefährt mit Baujahr 1968. Ihr inzwischen verstorbener Mann Jürg hat es 1974 als Schrotthaufen gekauft und zwei Jahre lang liebevoll restauriert und ausgebaut. Jetzt hat es eine kleine Küche mit Kochplatten und Kühlschrank, ein Not-WC und eine Sitzecke mit Tisch, die zu einem geräumigen Bett umgebaut werden kann. «Die schönsten Ferien sind für mich, mit dem HY-Wagen an einem idyllischen Ort zu halten, die Sonnenstore auszufahren und einfach nur zu geniessen», schwärmt Uschi.

Vom Lieferwagen zum Camper
Citroën fertigte dieses Modell von 1947 bis 1975. Es diente Gewerbetreibenden in Frankreich als Lieferwagen. «Sie wurden nicht langlebig gebaut», erklärt Uschi, «es wurde nur dünnes Blech und schlechtes Material verwendet.» Damit das Blech mehr Stabilität bekommt, wurde es als Wellblech verarbeitet. Der Fahrkomfort sei sehr gering: keine Servolenkung, und durch den langen Radstand lässt es sich nur schwer steuern. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei rund 80 km/h – bergauf deutlich langsamer. «Du magst ihn oder magst ihn nicht», sagt Uschi, die viele Freunde mit einem gleichen Gefährt hat. Bei acht Treffen zwischen Ostern und Oktober treffen sie sich als Interessengemeinschaft HY (IG HY) auf verschiedenen Campingplätzen Europas. «Das ist wie eine zweite Familie für mich», schwärmt Uschi.

Mit zwei Besitzern solcher Fahrzeuge ist sie derzeit unterwegs zum 100-Jahr-Citroën-Treffen, das vom 18. bis 20. Juli in La Ferté-Vidame bei Paris stattfindet. Im Konvoy wollen sie dort ankommen und gemeinsam ihrer Leidenschaft als Citroën-Fans frönen. Uschi besitzt noch zwei weitere Autos dieser Marke: einen alten DS mit Baujahr 1970 und einen modernen Kleinwagen, mit dem sie täglich zur Arbeit fährt. Die beiden Oldtimer eignen sich nur für die Sommermonate. Ein wenig schade findet sie, dass die Citroën-HY-Modelle, Fahrzeuge wie ihr Wellblechcamper, heute vielfach als Foodtrucks genutzt werden. Das habe sie in den letzten Jahren bekannt gemacht – häufig bekommt sie deshalb auch Kaufangebote. Diese will sie aber nicht annehmen, solange sie das Fahrzeug selbst steuern kann.

Strassenfeeling pur
Einsteigen in den Citroën HY ist für heutige Verhältnisse ungewöhnlich. Die Türen gehen nach vorne auf, winzige Scheibenwischer putzen die Frontscheiben. Darin sitzend ist die Strasse bei der Fahrt deutlich spürbar – es ist laut und zieht durch Ritzen herein. Am Schaltknüppel kann man bis auf den Strassenbelag sehen. Deshalb sei der Camper auch nicht für den Winter geeignet – er ist nicht effektiv beheizbar.

Uschi liebt ihn aber heiss und innig, verbringt im Sommer Wochenenden und Ferien darin. «Es ist ein Schatz für mich», lacht sie – ein Schatz, in den sie sich gleich nach ihrem Mann verliebt hat. In dieser Reihenfolge, dar­auf besteht sie. Im Lauf der 45 Jahre im Besitz der Familie war er bei der Hochzeit mit acht weiteren HY-Wagen sowie auch bei der Abdankungsfeier ihres Mannes Jürg dabei. Im Lauf der Jahre wurde der Innenausbau modernisiert, der Motor revidiert und das Fahrzeug 2016 neu lackiert.

Welttreffen in Planung
Uschis erste Fahrt führte sie 1988 mit Ehemann Jürg in die Türkei. Später folgten viele weitere Länder, die im Umkreis von bis zu 1500 Kilometern um die Schweiz liegen. Jetzt, allein, wählt sie meist nähere Ziele: Baden in Italien am Comersee, Ausflüge ins Elsass oder eine Nacht auf dem Campingplatz in Gütighausen. Aber sie engagiert sich auch für das Weiterleben des «Citroën-Kults»: Gemeinsam mit der IG HY organisiert sie im Jahr 2022 ein Citroën-Welttreffen am Brienzersee. Dann wird sich sicher manch ein Passant die Augen reiben und staunend die alten, ungewöhnlichen Fahrzeuge mit Wellblechkarosserie betrachten.

 

Weinland Mobil

Über die Sommerzeit stellt die «Andelfinger Zeitung» aussergewöhliche Gefährte und die Geschichten dahinter vor. «Mit altem Camper nach Paris» ist der erste Beitrag der Serie.

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