Weinland

Mobilfunkantenne mobilisiert ein Dorf

Das Baugespann für eine 25 Meter hohe Handy­antenne rüttelt die Einwohner auf. Die Bauauflage steht kurz bevor. Nicht alle Argumente haben gleich gute Chancen, das Vorhaben zu verhindern.

von Silvia Müller
01. Februar 2019

Es ist nicht der erste Versuch des Mobilfunknetzbetreibers Salt, in Niederneunforn Fuss zu fassen. Schon 2017 fragte Salt die Gemeinde selbst an, ob sie eine Gemeindeliegenschaft für den Bau einer Mobilfunkantenne zur Verfügung stellen würde. Der Gemeinderat wollte nicht, zumindest nicht vor Abschluss eines regulären Bauverfahrens, bei dem alle Beschwerdeberechtigten mitreden könnten. Das wiederum wollte Salt nicht. Die Firma suchte weiter und fand einen privaten Grundeigentümer, der einen Vertrag für einen Standort auf seinem Firmengelände unterschrieb.

Als das Baugespann hinter dem Sanitärbetrieb Schneeberger beim Dorfausgang Richtung Frauenfeld stand, formierten sich alarmierte Anwohner zu einer Bürgergruppe. Inzwischen haben sich ihnen bereits über 100 Personen angeschlossen. Einer von ihnen ist Conrad Fischer, der von seinem Wohnhaus aus direkt auf den umstrittenen Standort herunterblickt. Er habe nicht grundsätzlich etwas gegen eine solche Antenne, sagt er, aber gegen die Platzierung im Wohngebiet. «Die direkten Anwohner und viele andere haben das Gespräch mit Herrn Schneeberger gesucht. Unsere Rückmeldungen haben ihn bewogen, seinen Entscheid rückgängig zu machen. Doch er kommt aus dem Vertrag mit Salt nicht mehr heraus».

Hoffnung auf den Gemeinderat
Anwälte hätten es ihnen bestätigt: Es sei eine Art Knebelvertrag, ein Ausstieg sei praktisch unmöglich, sagt Conrad Fischer. Das gehe so weit, dass der lokale Vertragspartner die Vereinbarungen nicht einmal offenlegen dürfe, ohne rechtliche Schritte der Mobilfunkfirma befürchten zu müssen. Die Details seien folglich nicht bekannt, einzig, dass Salt den Grundeigentümer mit 8000 Franken jährlich entschädige, habe die Runde gemacht.

Also hofft die Bürgergruppe auf den Gemeinderat, der sich bereits einmal gegen eine Mobilfunkantenne ausgesprochen hat und nun das Baugesuch ablehnen könnte. Ganz so einfach sei das aber leider nicht, sagt Gemeindepräsident Benjamin Gentsch. Der Gemeinderat behandle diese Sache «neutral und wie jedes andere Baugesuch auch». Und: «Wenn ein solches Gesuch technisch in Ordnung ist, kann die Gemeinde es faktisch fast nicht ablehnen.»

Die Bedenken wegen des möglicherweise gesundheitsschädlichen Elektrosmogs gäben der Gemeinde kein ausreichendes Argument zur Hand, das zeige die bisherige Rechtsprechung. Auch die Furcht, dass die umliegenden Immobilien an Wert verlören, reiche nicht für eine Bauverweigerung. «Die praktisch einzige Möglichkeit ist, dass die Gemeinde eine Genehmigung aus Rücksicht auf ein schützenswertes Ortsbild nicht unterstützen würde. Dafür braucht sie aber sehr gute Gründe.»

Das Baugesuch wurde inzwischen in der Kantonshauptstadt durchleuchtet. Dem Gemeinderat ist die Haltung der Baudirektion in Frauenfeld seit rund drei Wochen bekannt. «Wir haben Salt schon im letzten Jahr nahegelegt, alternative Standorte zu prüfen, doch ohne Erfolg. Also startet in den nächsten Tagen die reguläre Bauauflage», sagt Benjamin Gentsch.

Viele Einsprachen zu erwarten
Conrad Fischer und seine Mitstreiter sind bereits daran, die Einsprache­berechtigten zur Meinungsäusserung während der 20-tägigen Frist zu motivieren. Natürlich bieten sie auf Wunsch auch Unterstützung bei der Formulierung an. «Auf diese Weise erhoffen wir uns möglichst viele Einzeleinsprachen», sagt er. Der Gemeinderat rechnet ebenfalls mit vielen Einsprachen, denn im kleinen Ortsteil Niederneunforn sind praktisch alle Einwohner im einsprache­berechtigten Radius angesiedelt.

Die Bürgergruppe hat auf einer eigens erstellten Website zahlreiche kritische Stimmen und Studien zum Thema Elektrosmog durch Handystrahlung und Mobilfunkantennen aufgeschaltet. «Wir wehren uns vehement, weil es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Bundesrat dem Drängen der Wirtschaft nachgibt und die Einführung der 5G-Technik erlauben wird», sagt Conrad Fischer. Deren Strahlung sei 100 mal stärker als jene der aktuellen 4G-Technologie, und das Aufrüsten der bereits bestehenden Standorte wäre dann ohne neuerliches Baugesuch möglich.

Rechtzeitig Lehren daraus ziehen
Der Ausgang der Sache ist zwar noch offen, aber Lehren sollten schon jetzt gezogen werden, nicht nur in Niederneunforn – das schreibt die Bürgergruppe in einem Infoblatt: «Es ist davon auszugehen, dass die Mobilfunkanbieter weitere Standorte suchen. Falls Sie angefragt werden, sollten Sie sich eine Zusage gut überlegen. Sie kann schnell zum Alptraum werden.» Der Ausstieg aus dem Vertrag sei fast nicht mehr möglich und ziehe garantiert hohe Kostenfolgen nach sich.
Mit Kostenfolgen sind nicht nur Strafgebühren für den Vertragsausstieg gemeint. Schon der Weg dorthin ist nicht gratis. In der «Causa Niederneunforn» haben schon jetzt alle Beteiligten – die Gemeinde, die Bürgergruppe und der Grundeigentümer – die Dienste von Anwälten in Anspruch nehmen müssen.

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