Weinland

Neue Herausforderungen im peruanischen Regenwald

Im Sommer kehrte Familie Griesser überstürzt aus Peru in die Schweiz zurück. Vater Andreas führte den Betrieb seither aus der Ferne, stattete der alten Heimat kürzlich aber wegen diverser Probleme einen Besuch ab.

von Bettina Schmid
01. Juni 2021

«Wir haben uns in der Schweiz wieder gut eingelebt. Die beiden grösseren Kinder Esmeralda und Benjamin gehen zur Schule und haben Freunde gefunden, meine Frau arbeitet bei der Spitex, und ich werde die Firma meines Vaters im Bereich Stahlhandel übernehmen», sagte Andreas Griesser der Schreibenden, als sie für einen Folgeartikel anfragte. Ein ruhiges, geregeltes Leben, könnte man meinen.

Doch der erste Eindruck täuscht, denn die Familie Griesser hat ja noch ein weiteres Standbein und eine zweite Heimat in der exotischen Ferne, ihren Landwirtschaftsbetrieb in Juanjuí im peruanischen Regenwald. Diesen führen sie seit ihrer überstürzten Abreise wegen der Corona-Pandemie im Juli vergangenen Jahres («AZ» vom 3.11.2020) von Andelfingen aus – dank Telefon und Internet normalerweise kein Problem. «Wir haben gute Leute angestellt, welche die verschiedenen Bereiche nach jeweiliger kurzer telefonischer Rücksprache mit uns vor Ort führen können.»

Ein Prozess und weitere Probleme
Normalerweise – aber in Peru kommt es eben häufig vor, dass unerwartete Dinge geschehen. So sah sich Andreas Gries­­ser Ende letzten Jahres mit verschiedenen Herausforderungen und Veränderungen konfrontiert: Die Gegend im Norden von Peru litt unter einer grossen Dürre, der grösste Milchverarbeiter der Region äusserte Pläne, sich zurückzuziehen, und die Leiterin der Jugendarbeit kündigte ihre Anstellung.

«Da für uns der Bereich Kinder- und Jugendarbeit sehr wichtig ist und damals der Anstoss war, überhaupt einen Landwirtschaftsbetrieb in Peru aufzubauen, entschloss ich mich, für vier Wochen nach Peru zurückzukehren und vor Ort nach Lösungen zu suchen», so Andreas Griesser. Seine Familie blieb in Andelfingen, da Esmeralda und Benjamin weiter zur Schule gehen mussten.

Verlief die Rückreise noch problemlos, liessen die Überraschungen in Juanjuí nicht lange auf sich warten. «Nach der ersten Nacht klingelte es, und zwei Polizisten standen vor der Tür.» «Sofort mitkommen», lautete die Anweisung. Wenigstens habe er noch Zeit gehabt, sich kurz umzuziehen, dann ging es auf zum Gerichtsgebäude. «Es stellte sich heraus, dass ich als Geschädigter für eine Gerichtsverhandlung vorgeladen war.» Der entsprechende Vorfall habe sich vor über sechs Jahren ereignet. Damals habe ein Mann, der jetzige Angeklagte, Kakao im Wert von zwei Jahreslöhnen von ihnen gestohlen. «In Peru ist es üblich, dass ein Fall erst Jahre später verhandelt wird und die Vorladung zur Gerichtsverhandlung so kurzfristig kommt.» Er sei froh, sei er zufälligerweise zu diesem Zeitpunkt vor Ort und nicht in der Schweiz gewesen, ansonsten wäre er zur Fahndung ausgeschrieben und bei einer späteren Einreise wegen Fehlens vor Gericht verhaftet worden.

Der Prozess selbst sei dann ruhig, aber Corona-bedingt ungewohnt verlaufen. Er sei alleine in einem riesigen Gerichtssaal gesessen und habe auf Richter und Angeschuldigte gewartet. Schlussendlich habe es sich dann aber um eine Video-Konferenz gehandelt – das Urteil stehe noch aus.

Auch ansonsten hat sich sein Besuch vor Ort auf seinem Landwirtschaftsbetrieb mit den Bereichen Waldwiederaufforstung, Kakao, Mast- und Milchvieh sowie Jugendarbeit gelohnt. Für sein Hauptproblem, die Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit, ist es ihm in den vier Wochen gelungen, eine Lösung finden. «Dar­über bin ich sehr glücklich.» Er hat gleich zwei gut ausgebildete Familien gewinnen können, welche ehrenamtlich die Aktivitäten wie etwa die Spiel- und Bastelnachmittage sowie die Sonntagsschule weiterführen. Da nach einem Jahr Corona mit Ausgangssperren und wirtschaftlichem Niedergang in einigen Familien Verzweiflung und Hunger herrschen, hätten sie das Angebot zusätzlich mit einer Eltern-Kind-Beratung und einer Essens­ausgabe für Kinder ergänzt. «Aktuell ist eine der beiden Familien jedoch an Corona erkrankt, und die Mutter hat leider einen schweren Verlauf.» Da das kleine Spital in Juanjuí über keine Intenivstation verfügt, könnten sie nur auf baldige Genesung hoffen.

Güllenpumpe gesucht
Eine grosse Herausforderung seit ihrer Abreise im Juli war die Trockenheit, welche ab Juni bis in den Januar hinein herrschte. «Der Monsun, die übliche Regenzeit, fiel diesen Herbst aus.» Es wuchs nichts mehr, die Kakaoernte fiel komplett aus, und in der Wiederaufforstung verdorrten viele der frisch gepflanzten Bäume. «Als ich sah, dass sogar die sehr widerstandsfähigen Orangenbäume am Absterben sind, machte ich mir wirklich Sorgen.»

Bewässern war nicht möglich, sein Gebiet umfasst über 300 Hektaren. Letztendlich wurde auch das Futter für die Kühe knapp. Sie hätten nur deshalb überlebt, da der Leiter vor Ort rechtzeitig vorausgedacht und bei einer Nachbarin, die mit dem Bauern aufgehört hat, weitere Weideflächen dazu gemietet habe. Um auf eine allfällige weitere Dürre besser reagieren zu können, sucht Andreas Griesser nun eine Güllenpumpe. Damit könne er Wasser aus den bereits gebauten Sickerbecken sowie Gülle auf die Felder pumpen. Vielleicht lese hier ja zufälligerweise jemand mit, der ein solches Gerät loswerden möchte.

Zukunft der Milchwirtschaft
Auch ein weiteres Problem ist ungelöst. Es betrifft sein Vieh respektive die Milch, denn die grösste Milchverarbeiterin im Land, die Gloria S.A., habe angekündigt, sich aus der Region rund um Juanjuí  zurückzuziehen. Dies würde bedeuten, dass sie auf ihrer Milch sitzen bleiben würden, respektive dass es ein massives Überangebot gäbe – mit nachfolgendem Preiszerfall, so Andreas Griesser. «Wir müssen uns entscheiden, ob wir so überhaupt noch in der Milchwirtschaft tätig bleiben können oder ganz auf Mastvieh setzen müssen.» Dies würde wiederum bedeuten, dass sie Leute entlassen müssten, «und das möchten wir unbedingt vermeiden, wir haben eine soziale Verantwortung.»

Bis im Sommer hätten sie noch etwas Zeit zum Überlegen, denn bis dann gibt die Gloria S.A. den Landwirten eine Gnadenfrist und holt die Milch ab. Er habe zwar verschiedene Möglichkeiten im Kopf, versuche es aber vorerst auf die peruanische Art: «Abwarten und schauen, was passiert.» In den Sommerferien plane er sowieso, wieder einige Wochen nach Juanjuí zu gehen, dieses Mal aber mit seiner Frau und den Kindern. «Und dann wird auch der richtige Zeitpunkt sein, eine Entscheidung zu fällen.»

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