Weinland

Ohne Morgengeläut zufrieden

Der Diskussionsbedarf um das Morgengeläut verpuffte, bevor es losging: Zum angebotenen Austausch dar­über kam niemand, der es beibehalten will.

von Christina Schaffner
10. November 2023

Eigentlich sollte am Dienstagabend im Flaacher Pfarrhaus ein reger Austausch über das umstrittene Morgengeläut der Kirchenglocken um 5.30 Uhr erfolgen. Davon in ihrer Nachtruhe gestörte Anwohnende hatten ums Abstellen gebeten. Diesem Wunsch kam die Kirchenpflege nach und lässt seit September das fünfminütige Läuten nicht mehr erklingen (AZ vom 1.9.2023). Das kirchliche Leben beeinflusse das nicht, so die Begründung.

Dagegen wehrten sich Gläubige mündlich und schriftlich, die das nicht akzeptieren wollten. Vor allem auf Facebook schlugen die Wellen hoch. Dies nahmen Kirchenpflege und Pfarrer Christian Stettler zum Anlass, zu einem «offenen Pfarrhaus» zu laden, um sich im Gespräch austauschen zu können.

Mit grossem Interesse gerechnet
Gefolgt sind dieser Einladung nur sehr wenige Gemeindemitglieder. Unter ihnen zwei, die sich fürs Abstellen eingesetzt, aber keine, die sich für den Erhalt stark gemacht hatten. «Wir sind überrascht», sagte Kirchenpfleger Urs Weilenmann. Nach Äusserungen im Vorfeld hätten sie «mit einem grossen Interesse gerechnet». Die Abwesenheit der Befürworter sei für die Kirchenpflege ein Gradmesser, wie wichtig das Anliegen letztendlich sei: Es scheine nach zwei Monaten nicht mehr zu interessieren.

So kam es zwar nicht zu Diskussionen, wohl aber zu einigen Hintergrundinformationen – und einer nächtlichen Führung in den Glockenturm. Diese nutzte etwa die Hälfte der Anwesenden, um sich das unterschiedliche Erklingen der Glocken vor Ort erklären zu lassen: Der Viertelstunden- und der Stundenschlag werden durch auf die Glocken schlagende Hämmer ausgelöst. Beim Läuten schwingen dagegen Glocke und Klöppel, was viel lautere und intensivere Töne erzeugt. Je schwerer und älter der Klöppel, desto lauter sein Anschlag, wie Urs Weilenmann erklärte. «Früher war diese Lautstärke erwünscht.» In Zeiten ohne Uhr und Wecker in den Haushalten bot das Läuten Orientierung, wann aufgestanden wurde, wann Mittagszeit war und wann am Abend die Ruhezeit begann.

Die Klöppel zu ersetzen – heutige seien deutlich leichter und der Ton dadurch anders – wäre zwar eine Option, koste aber pro Kirche rund 100 000 Franken und wirke sich nicht so stark aus. Klöppel hätten nach rund 40 Jahren ihr Lebensalter erreicht. Bevor aber jene von 1953 in der Kirche Flaach ersetzt würden, wären jene in Berg vom Ende des 19. Jahrhunderts dran.

«Einen Kompromiss zu finden, ist fast unmöglich», so Urs Weilenmann. Es gebe nur die Möglichkeit, zu läuten oder nicht zu läuten. Weniger lang läuten löse das Problem nicht. Deshalb entschied sich die Kirchenpflege für den Verzicht auf das Morgengeläut – in Absprache mit der Politischen Gemeinde, die laut Läutordnung zustimmen muss. Die Befürchtung, dass die Gegner danach auch den Stundenschlag abschaffen wollten, habe sich bisher nicht bestätigt.

Diskussion nicht neu
Die Diskussion um das Morgengeläut ist in der Gemeinde nicht neu – seit gut zwei Jahren kamen immer wieder Anfragen, das Morgengeläut abzustellen oder wenigstens zu verschieben. Ein anwesender Mann, der sich dafür eingesetzt hatte und mit seiner Frau unterhalb der Kirche wohnt, erklärte seine Beweggründe. Sie hätten schon gewusst, dass die Kirchenglocken erklingen würden, aber von der Lautstärke und der Länge am Morgen seien sie überrascht worden. «Wir dachten, es sei hier beschaulich und ruhig», sagte er.

Vielleicht sei das naiv gewesen, aber auch den Lärm der LKWs auf der benachbarten Strasse und den Fluglärm hätten sie unterschätzt. Von weiteren Nachbarn wisse er, dass auch sie sich gestört fühlten, sich aber nicht exponieren wollten, um Ärger zu vermeiden.

Auch wenn er «kein Querschläger» sei, der sich gegen alles wehre, so engagiere er sich doch bei Sachen, die ihn bewegten. Bei den Kirchenglocken findet er, dass sie morgens nicht zwangsläufig läuten müssten, und schrieb den entsprechenden Brief, der alles ins Rollen brachte. «Traditionen sind wichtig, haben aber Grenzen, wenn es um die Gesundheit und um Schlafstörungen geht.» Deshalb sei er froh, dass die Kirchenpflege diesen «modernen Entscheid» gefällt habe.

Geschichte der Kirchenglocken

Pfarrer Christian Stettler führte die Anwesenden in das «Signalinstrument Glocke» ein, das genutzt wurde und wird, um Menschen zusammenzurufen. Bereits erste umherwandernde Mönche kamen mit Wanderstab und Glöckchen in die Dörfer und riefen mit Letzterem die Leute, um vor ihnen zu reden. Ab dem Mittelalter wurden damit nicht nur in Klöstern, sondern auch in Kirchen Gebetszeiten eingeläutet. Zum Teil erklangen Schläge während des Gottesdiensts – wie heute noch in gewissen katholischen Kirchen –, um den Daheimgebliebenen zu signalisieren, wann das «Unservater» gebetet wurde, damit sie mitbeten konnten. Früher gab es als Gebetserinnerung auch untertags zusätzliche Schläge. «Es gab viele Bräuche, die heute nicht mehr bekannt sind.» In Zürich wurde bereits 1908 das Morgengeläut auf 7 Uhr verschoben, um dem Ruhebedürfnis der Menschen nachzukommen.

Die älteste Glocke der Schweiz ist die Gallusglocke im Kloster St. Gallen aus dem Jahr 612. «Sie ist aus Blech und nichts Schönes.» Erst viel später wurden Glocken aus Bronze gegossen. (cs)

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