Weinland

Patienten der Porzellanklinik

Rolf Neff ist ein international begehrter Fachmann. Er restauriert fast alles, was in Scherben liegt, ob Porzellan, Glas, Keramik oder Kunststoff. Nun gibt er sein Wissen und den Betrieb in Winterthur Marco Rossetto weiter.

von Silvia Müller
22. November 2022

Es ist wie verhext: Immer die Lieblingsstücke im Geschirrschrank und die unersetzlichsten Erbstücke gehen als erste zu Bruch! Nun kommt die Persönlichkeit der Besitzer ins Spiel: Die einen holen den Besen, denken «Scherben bringen Glück» und sehen sich gelegentlich nach Ersatz um. Die anderen experimentieren zuerst mal selbst mit einer Leimtube. Danach akzeptieren sie entweder, dass das gute Stück sichtbar geflickt und nicht mehr gebrauchstüchtig ist – oder sie tragen es dann doch noch in die Porzellanklinik an der Technikumstrasse.

Dort entfernen Rolf Neff und Marco Rossetto zuerst mal die Leimreste, bevor sie die Sache fachmännisch in Ordnung bringen können. «Viele glauben, alles Geschirr könne auf die gleiche Art geflickt werden, doch dem ist überhaupt nicht so», erklärt Rolf Neff. Der Truttiker ist vor 18 Jahren eher zufällig in die Branche gerutscht. Heute restauriert er seines Wissens als Einziger in der Schweiz und wohl auch in Süddeutschland fachgerecht all diese Materialien für Privatkunden.

«Uns geht die Arbeit nie aus», sagt Rolf Neff und zeigt auf die Gestelle, wo die Aufträge durchnummeriert auf den nächsten Arbeitsschritt warten. Die Kunden müssen mit Wartezeiten von einem halben Jahr rechnen. Sie tun das auch für Stücke, für die leicht Ersatz zu finden wäre. «Es sind bei Weitem nicht nur objektiv wertvolle Stücke», reagiert Marco Rossetto auf den fragenden Blick der Journalistin angesichts einer fast neuen, sichtbar billigen Souvenirtasse. «Uns werden lauter Dinge anvertraut, die mit Erinnerungen und Gefühlen an Personen verbunden sind. Das kann ein wertvolles Erbstück sein, aber genauso gut auch Dutzendware.» Für die Kunden spiele es genau deshalb auch keine Rolle, wenn die Reparatur mehr koste als ein Ersatzkauf.

Methoden aus der Zahntechnik
Rolf Neff ist gelernter Radioelektriker und Informatiker. Sein Vorgänger war ursprünglich Zahntechniker und suchte 2004 per Inserat eine Nachfolge. «Ich habe den Schritt nicht bereut. Jede Reparatur ist anders, und noch heute zerbreche ich mir oft zuerst mal heftig den Kopf, bevor ich mir die Scherben vornehme», sagt er und lacht. «Um gute Arbeit zu machen, muss man gleichzeitig Zahntechniker, Kunstmaler und Fälscher sein.» Noch ein, zwei Jahre arbeitet Rolf Neff weiter in der Porzellanklinik, um den neuen Inhaber Marco Rossetto gut einzuführen: «Die häufigsten Techniken beherrscht er schon jetzt. Doch es gibt auch ganz seltene Aufträge, die man höchstens alle paar Jahre bekommt. Deshalb planen wir eine so lange Übergabe.»

Der Zürcher Marco Rossetto hat zeitlebens in der Grafik-, Foto- und Digitalbranche gearbeitet. «Ein interessanter Berufsweg, aber er wurde immer technischer. Mich reizte die Rückkehr zum Malen, Zeichnen und Handwerklichen, das mich in der Jugend zur Grafikerlehre bewog», erklärt er. Das technische Know-how aus seiner Berufslaufbahn nütze ihm nun auf andere Art. «In jüngster Zeit wurden in vielen Branchen Geräte und Technologien entwickelt, die auch bei der Restauration Fortschritte bringen. Das behalte ich natürlich im Auge.»

Keine Reparatur wie die andere
Kennen Sie den Unterschied zwischen Porzellan, Keramik, Fayence oder Majolika, Steinzeug, Steingut und Terracotta? Das alles steht vermutlich bei Ihnen zu Hause herum, und Sie würden alles einfach mal leimen. Dabei verhält sich jedes Material anders. Früher musste man sich entweder für eine schöne oder aber eine dauerhafte Reparatur entscheiden. «Heute ist beides gleichzeitig machbar, aber nur mit dem richtigen Ersatzmaterial und der richtigen Technik», erklärt Rolf Neff.

Und Leimen ist längst nicht mehr die einzige Wahl. Für Porzellan sei die Infiltration von Bindemitteln in die Bruchstellen Standard geworden. Rolf Neff hat dieses Verfahren für andere Keramikarten weiterentwickelt. Auch Reparaturen von Glas, Email, Gips, Alabaster und zunehmend von Skulpturen aus Giessharz führt das Team durch – eine besondere Herausforderung. Kunststoffe wie Giessharz seien billig in der Anschaffung, aber viel schwerer zu flicken als die traditionellen Materialien.

Der Preis richtet sich nach dem Zeitaufwand. Kleinere Sachen seien ab 70 Franken machbar; Simples nehme man vier- bis sechsmal in die Hand. «Manchmal sind aber Hunderte Schritte nötig. Die dauern oft nur wenige Minuten, doch dann muss das Teil tagelang aushärten oder trocknen, bevor es weitergehen kann», erklärt Marco Rossetto. Fast immer müssen sie Abgeplatztes oder Fehlendes aufmodellieren, und auch das brauche viel Geschick. «Wir mussten schon um einen Scherben herum den ganzen Rest des Gefäs­ses rekonstruieren, mit nur Fotos ähnlicher Objekte als Vorlage», erzählt er.

Privatkunden wollen in der Regel möglichst unsichtbare Reparaturen.  Dafür tarnen die beiden Fachmänner die Stellen unter anderem mit Schleifpapier, Farbe, Gold, Glasuren – natürlich immer materialgerecht: «Wir tun stets das Mögliche. Im besten Fall suchen die Kunden eine ganze Weile lang, bis sie erkennen, wo vorher der Bruch durchging.»

www.porzellan-klinik.ch

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