Weinland

Sicher fünf Wochen Bahnersatz

Seit Freitag fährt kein Zug mehr über die Thurbrücke bei Ossingen. Um das Stahlbauwerk genauer zu untersuchen, wurde es vorsorglich gesperrt. Als Ersatz verkehren bis am 1. März Busse.

von Roland Spalinger
26. Januar 2021

Eine Vorlaufzeit gab es nicht. Am Freitag hat die SBB die Brücke zwischen den Stationen Ossingen und Thalheim-Altikon laut eigenen Angaben «vorsorglich und bis auf Weiteres gesperrt». Eine von der SBB in Auftrag gegebene Studie habe ergeben, dass bei der
145 Jahre alten Stahlbrücke die Tragsicherheitsnachweise nicht erbracht werden könnten. Ausserdem sei festgestellt worden, dass sich der Zustand von Korrosionsstellen verschlechtert habe. Eine unmittelbare Gefahr habe aber zu keinem Zeitpunkt bestanden. Seit Freitag verkehren zwischen Stein am Rhein und Thalheim Ersatzbusse.

«Wir verstehen, dass die SBB vorübergehend die Brücke sperrt und den Betrieb auf Bahnersatz umstellt», zeigt Thomas Feer (Grüne, Stammheim) von der IG S29 Verständnis für die Sicherheitsmassnahme. Er äussert aber auch Kritik: Erstaunlich ist für ihn, dass dieser Rostschaden in den regelmässigen Kontrollen nicht früher aufgefallen ist, zumal «auf dieser Brücke kaum eine Schwarzräumung mit Salz erfolgt. Also – wie kommt es zu einer dramatischen Gefährdung der Betriebssicherheit?»

Auch für Kantonsrat Martin Farner (FDP, Stammheim) ist der Zeitpunkt überraschend. Er sagt: «Die Verantwortlichen der SBB vernachlässigen den Unterhalt der Schienennetze, speziell in den Randregionen.» Für die Region sei eine wichtige Lebensader und Verkehrsachse Richtung Winterthur unterbrochen, die Reisezeit aus Stammheim/Ossingen «verlängert sich zusätzlich».

SBB: 15 Minuten länger
Laut SBB-Sprecher Martin Meier sind es maximal 15 Minuten. Zu den Vorwürfen sagt er: «Unabhängig von dem zu sanierenden Korrosionsschutz haben die Untersuchungen gezeigt, dass der Tragsicherheitsnachweis auf Basis der aktuell geltenden Normen nicht erbracht werden konnte. Aus diesem Grund wurde die Brücke vorsorglich gesperrt.» Und zum Vorwurf der Untätigkeit in Randregionen sagt Martin Meier: «Diese Behauptung trifft schlichtweg nicht zu: Sicherheit hat bei der SBB immer höchste Priorität.» Mit dem Netzzustandsbericht weise die SBB seit 2010 jährlich den Zustand all ihrer Anlagen aus. Der Zustand aller Brücken der SBB werde in einem regelmässigen Inspektionszyklus alle sechs Jahre kontrolliert, «und bei Bedarf werden weitergehende Untersuchungen ausgelöst».

Hätte mit einem langsameren Befahren der Brücke eine Sperre verhindert werden können? «Nein», sagt er. Sie hätten alles angeschaut. Mit einem Bahnersatz zwischen Stein am Rhein und Thalheim-Altikon sei die Kundschaft am besten bedient. Würde bis Ossingen mit dem Zug gefahren, würde der Bahnersatzbus in Thalheim-Altikon den anderen Zug nicht erreichen. Und dieser müsste dort wegen Abhängigkeit mit dem Knoten Winterthur pünktlich abfahren.

Mit einem Bus ab Stein am Rhein bis Thalheim-Altikon könne auf beiden Seiten der Brücke ein stabiler Betrieb aufrechterhalten werden. Es sei aber mehr Reisezeit einzurechnen. Bedient werden mit Bussen die gleichen Orte, an denen die Bahn hält, aber keine zusätzlichen.

Ossingens Gemeindepräsident Martin Günthardt hat von der Sperrung aus den Medien erfahren. Er sei überrascht gewesen und habe bei «Sperrung» sogleich an den Fussweg über die Brücke gedacht, der im Dorf zu reden gab («AZ» vom 20.10.2020). Dieser beliebte Teil des Wanderwegs bleibt offen. Über die Si­tua­tion informiert die SBB laufend auf ihrer Website.

Feer: «längere Zeit nicht tragbar»
Thomas Feer fordert, den Bahnbetrieb schnellstmöglich wieder einzurichten. Ersatzbusse seien für eine längere Zeit nicht tragbar und kein Ersatz für die S29. «Ausserdem können die Busse das gesamte Verkehrsaufkommen in normalen Zeiten ohne Corona-Shutdown nicht bewältigen.

Martin Meier dämpft jedoch allzugrosse Hoffnungen. «Da es sich um eine Fachwerkbrücke aus Stahl handelt, ist eine Sanierung entsprechend aufwendig und wird Zeit brauchen.» Die Brücke wurde 1876 erstellt und 1907 verstärkt.

Info:  www.thurbo.ch/ossingen
SBB-Blog: news.sbb.ch/medien

Wird Verbindungslinie Ossingen–Andelfingen wieder spruchreif?

Leserbrief von Paul Stopper, Dipl. Bauing. ETH/Verkehrsplaner, Uster

Zwischen Thalheim-Altikon und Stein am Rhein verkehren bis auf Weiteres keine Züge mehr, sondern nur noch Ersatzbusse. Grund ist die Überprüfung der Tragfähigkeit der Thurbrücke. Das verleitet mich dazu, die Frage einer Verbindungslinie Ossingen–Andelfingen wieder aufleben zu lassen. Dadurch würde die wunderschöne Thurbrücke für den Bahnverkehr entbehrlich und könnte als komfortabler Rad- und Fussweg weiterbenützt werden; die Belastung würde ja praktisch auf Null sinken.

Aus der Geschichte ist Folgendes bemerkenswert: Die damalige SBB-Kreisdirektion III in Zürich liess am 17. Oktober 1950 dem Gemeinderat von Gross-Andelfingen ein Schreiben bezüglich Linie Andelfingen–Ossingen zukommen. Aus diesem Brief sei folgendes zitiert: «Herr Gemeindepräsident, sehr geehrte Herren, Sie haben uns erstmals mit Schreiben vom 19. Juli 1948 davon in Kenntnis gesetzt, dass der Standort eines künftigen Bezirksspitals Andelfingen zu bestimmen sei, und haben dar­auf hingewiesen, dass die ungünstigen Verkehrsverhältnisse in Ihrem Bezirk, besonders aber der Mangel einer West-Ost-Verbindung, die Standortwahl erschweren. Gleichzeitig ersuchen Sie uns, die Anregung näher zu prüfen, ob nicht durch den Bau einer neuen Verbindungsstrecke zwischen Andelfingen und Ossingen die Verkehrsverhältnisse verbessert und die Züge zwischen Winterthur und Etzwilen überhaupt über Andelfingen geführt werden könnten. […].»

Die SBB liess eine solche Verbindungsschlaufe abklären und kam zum Schluss, dass der Bau der vorgeschlagenen Verbindungslinie durchaus möglich wäre. Die Baukosten wurden auf 3,5 Millionen Franken geschätzt; es muss sich um eine Verbindungsschlaufe von Ossingen direkt auf die bestehende Bahnbrücke der Schaffhausen–Winterthur-Linie gehandelt haben, denn die SBB merkte an, dass für die aus dem Jahre 1874 stammende Eisenkonstruktion der Thurbrücke in «absehbarer Zeit» hohe Reparaturkosten anfallen würden, d.h. ca. 2,5 Millionen Franken. Diese könnten beim Bau der Neubaustrecke eingespart werden.

Gleichwohl kam die SBB zum Schluss, dass sich angesichts des geringen Verkehrs eine Verbindungsschlaufe Andelfingen–Ossingen nicht rechnen würde. Ins Gewicht fiel vor allem auch die Unterbrechung der Linie Thalheim–Ossingen.

Die Thurbrücke wurde in der Folge renoviert. Die Kosten dafür sind unbekannt.

Am 25. Mai 1987 reichte der damalige Winterthurer LdU-Kantonsrat Martin Forster ein Postulat ein (KR-Nr.-41/1987), in dem die Regierung eingeladen wurde, folgende Massnahmen für die SBB-Linien Winterthur–Etzwilen, Winterthur–Schaffhausen und Winterthur–Frauenfeld zu prüfen
- Bau einer Verbindungslinie Ossingen–Andelfingen für neue Direktverbindungen Stammheim–Andelfingen–Winterthur
- Errichtung neuer SBB-Stationen Waltalingen, Gütighausen, ev. Thalheim und Veltheim-Wülflingen sowie Gundetswil
- Ausbau der Linie Winterthur–Schaffhausen zur internationalen Schnellzuglinie Zürich–Flughafen–Winterthur–Schaffhausen–Stuttgart

Der Zürcher Regierungsrat liess in seiner Antwort (Vorlage 2885 vom 20.1.1988) verlauten, dass sich bezüglich der Verbindungslinie Ossingen–Andelfingen eine solche durch die Zusammenfassung der Po­ten­ziale beider Linien durchaus rechtfertigen liesse. Gleichwohl passierte nie etwas Konkretes.

In der Zwischenzeit wurde die Thurbrücke wieder saniert. Jetzt, wo der Zustand der Thurbrücke erneut Sorgen bereitet, ist nun ernsthaft zu überlegen, ob statt grosser Reparaturarbeiten nicht doch die seit mehr als einem Jahrhundert diskutierte und auch gewünschte Verbindung Ossingen–Andelfingen erstellt werden soll.

Thalheim müsste – im Gegensatz zu früheren Überlegungen – mit Andelfingen durch den Bau einer ebenfalls neuen Bahnlinie verbunden bleiben. Die Linienverknüpfungen im Weinland und der weitere Ausbau der Weinländer SBB-Linien im Bereich Andelfingen/Ossingen müssen ja generell neu überdacht werden.

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