Weinland

Traktoren auf drei Rädern

Reto und Hans Keller haben eine Vorliebe für Traktoren aus der Schweizer Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM). Zu den zwei antiken Familiengefährten kauften sie zwei weitere und restaurierten sie.

von Christina Schaffner
28. Oktober 2022

Vier Jahre und rund 1600 Arbeitsstunden brauchten Reto Keller und sein Vater Hans Keller, um den Traktor der Schweizer Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) aus dem Jahr 1955 wieder herzurichten. Es ist der jüngste und neueste ihrer Sammlung, die vier dieser dreirädrigen Traktoren umfasst. Da er völlig verdreckt und angerostet gewesen sei, sei ihnen keine andere Möglichkeit geblieben, als ihn komplett zu zerlegen, alle Teile zu überarbeiten und neu zusammenzusetzen. So wurde geputzt, entrostet, gesandstrahlt und gemalt und alle Originalteile, wenn irgendwie möglich, erhalten.

Die stundenlange Arbeit daran, vor allem an Wintertagen, sei ein schöner Ausgleich zum Beruf, meint Reto Keller. Der 50-Jährige gab vor vielen Jahren den Anstoss dazu, dem sein Vater zunächst zögerlich, dann aber mit grosser Begeisterung folgte. Beim 79-jährigen Vater rufen die Traktoren vor allem Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wach – und halten ihn fit, wie er schmunzelnd hinzufügt.

Das erste Mal eine so grosse Restauration angegangen sind die beiden, als sie 2012 einen SLM aus dem Jahr 1946 erstehen konnten. Diese Aufarbeitung hatte ebenfalls vier Jahre gedauert und wurde – wie alle Arbeiten an den Traktoren – in Fotobüchern detailgenau festgehalten.

Möglichst originalgetreu
Das komplette Zerlegen ist etwas, das sie bei ihren ersten beiden Traktoren aus Familienbesitz nicht getan haben – deren Zustand war besser und der Wunsch, diese möglichst original zu erhalten, wichtiger. «Heute geht der Trend zum Glück wieder dahin», sagt Hans Keller. «Früher wurden Traktoren mit verchromten, glänzenden Teilen schöner gemacht, als sie fabrikneu gewesen waren.» Doch auch so gebe es an den alten Maschinen, die in einem Schopf ausserhalb von Andelfingen stehen, immer etwas zu tun, fügt Reto Keller an. Die Maschinen müssen gewartet und gepflegt werden, und natürlich müssen sie zwischendurch mal laufen, damit nichts verhockt.

Die SLM-Traktoren verfügen über zwei spezielle Eigenschaften, die sie von anderen Traktoren ihrer Zeit unterscheiden: Sie haben zwei Tanks und nur drei Räder. Letzteres hat den Vorteil, dass sie quasi auf der Stelle wenden können. Der Nachteil aus heutiger Sicht ist, dass sie dadurch drei Spuren auf dem Acker hinterlassen. Die zwei Tanks waren nötig, da die Traktoren zwar mit Benzin gestartet werden, dann aber mit Petroleum laufen. Eine Tatsache, die sie vor allem während und nach dem Zweiten Weltkrieg für Bauern interessant machte.

Start per Handkurbel
Der älteste Traktor der Keller-Sammlung aus dem Jahr 1935 mit der Produktionsnummer 90 war einer der ersten Traktoren in Andelfingen, wie sich Hans Keller erinnert. Er muss noch mit einer Handkurbel an der Seite gestartet werden. «Damals arbeiteten viele Bauern noch mit Ross und Wagen», erinnert er sich. Der eigene Familienbetrieb sei zwar nicht gross gewesen, sein Grossvater habe aber fortschrittlich gedacht und deshalb dieses Gefährt angeschafft.

Der Kaufpreis muss hoch gewesen sein. Wie hoch, wissen Reto und Hans Keller nicht. Vom zweitjüngsten Traktor, den sie später kauften und restaurierten, haben sie aber noch eine Kopie der Originalrechnung. Arthur Müller aus Wildensbuch kaufte ihn im Dezember 1946 für 12'168 Franken.

Vater und Sohn haben beide eine Ausbildung im mechanischen Bereich, was ihnen das Restaurieren erleichtert. Landwirtschaftlich arbeiten sie aber nicht mehr, ihre Felder sind verpachtet. Ihre Faszination für SLM-Traktoren ist aber geblieben. Ihnen gefällt, dass diese nicht nur in der Schweiz, sondern sogar in Winterthur hergestellt wurden (siehe Kasten). Beide sind Mitglied im Verein «Freunde alter Landmaschinen», mit dem sie auch kleine Ausfahrten unternehmen. «Das ist schön, aber wichtiger ist mir das Schrauben an den Maschinen. Ich bin ein Chlütteri», sagt Reto Keller von sich.

Lange Anfahrt für Ausstellungen
Die drei älteren SLM eignen sich für solche Ausfahrten auch wenig, da sie zu langsam sind, um mit alten Fendts oder Lanz Bulldogs mitzuhalten. Für eine solche Ausfahrt haben sie sich einen roten, antiken Hürlimann-Traktor aus dem Jahr 1962 gekauft. Oder nehmen den zuletzt restaurierten SLM. «Mit dem kann ich gerade so mithalten», meint Reto Keller. Hin und wieder sind sie mit ihren SLMs auch an Ausstellungen zu finden – wie an der letzten Züspa, einer Messe, die es nicht mehr gibt. Dafür wurde ihr Traktor verladen und nach Zürich gebracht, wie sie stolz auf Bildern zeigen.

Da sie selbst aber kein Fahrzeug zum Transport der Traktoren haben, fahren sie sonst selbst mit ihnen zu den Ausstellungsorten. Das sind schnell einmal vier Stunden pro Weg wie einmal nach Fehraltorf oder zwei Stunden zu einer Präsentation im Klettgau. «Zum Glück sind die Leute freundlich und zuvorkommend, wenn sie uns damit sehen», sagt Reto Keller. «Sie winken fröhlich und grüssen uns.»

SLM-Traktoren

Bekannt ist die Schweizer Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) für die mehr als 5700 Lokomotiven, die das Winterthurer Fabrikgelände zwischen 1873 und 1997 verliessen, darunter das legendäre «Krokodil» oder der «Elefant», wie auf der Website von sbbhistoric nachzulesen ist. Die Traktorenproduktion zwischen 1933 und 1953 war für die Firma SLM aber ein wichtiger Schritt zum Erhalt der Produk­tionsstätte während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren. Wegen des starken Frankens blieben Bestellungen aus dem Ausland aus, die im Inland waren stark rückläufig. Zwischen 1930 und 1934 wurde der Personalbestand deshalb um mehr als die Hälfte reduziert.

Um die Fabrik über die Runden zu bringen, probierten die Verantwortlichen etwas Neues. Die Mafag-Traktorenfabrik in Brugg stand 1933 kurz vor der Liquidation. Die SLM erkannte das Potenzial und übernahm die Fabrik. Um sich gegen Firmen wie Meili und Hürlimann auf dem Markt zu behaupten, investierte die SLM in die Weiterentwicklung der übernommenen Mafag-Traktoren. Heraus kamen die dreirädrigen, leichten SLM-Traktoren. Die geringe Grösse und das innovative Lenkungskonzept machten sie wendiger und manövrierfähiger als die schwerfälligen Maschinen der Konkurrenz. Für viele Kleinbauern waren sie ein Segen: Arbeiten wie Mähen, Pflügen, Säen und Eggen konnten mit ihnen viel schneller ausgeführt werden. Die Konkurrenz erkannte das und zog nach. Ob dieser Konkurrenzdruck den Ausschlag für die Einstellung der Produktion in den 1950er Jahren gab, ist nicht belegt. (cs)

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