Weinland

Vom Acker zum Paradiesgarten

1984: Sie wollte nur Wiese und am liebsten gar keine Gartenarbeit. Er holte sich in England das Garten­virus und infizierte sie. 35 Jahre später ist der Garten eine Pracht, und beide sind immer noch kein bisschen kuriert.

von Silvia Müller
18. Juli 2023

Als Barbara und Claus Scalabrin 1979 das Haus in Alten bauen liessen, gefiel ihr, dass der Architekt auf dem 1800 Quadratmeter grossen vormaligen Acker nur ein paar Bäume, einen kleinen Küchengarten und ansonsten einfach Magerwiese vorgesehen hatte. «Ich wollte mir auf keinen Fall unnötige Gartenarbeit aufladen. Meine Mutter hatte stets darüber geklagt, wie viel Arbeit ein Garten macht», erzählt sie.

Doch dann kehrte Claus Scalabrin von einer Englandreise zurück, entschlossen, die Grasfläche – aus der blumigen Magerwiese war auf dem fetten Ackerboden nichts geworden – in einen zauberhaften Garten im Cottage-Stil zu verwandeln. «Nur über meine Leiche», sei ihr Kommentar gewesen. Und so liess sie ihn den ersten Sommer alleine am heissen Thurhang und verzog sich Richtung Bodensee zum Windsurfen.

Ihr Mann liess fĂĽrs Grobe den Bagger kommen, das zentrale Beet anlegen und den Hang unterhalb des Rebbergs mit Steinbrocken befestigen. Als es ans Bepflanzen ging, wich sein Elan totaler Ratlosigkeit, und seine Frau musste in die Bresche springen. Mit dem Katalog eines Gartencenters und einem Buch ĂĽber Stauden erstellten sie gemeinsam ihre erste Einkaufsliste.

Seither fuhr der Bagger noch viele Male vor. Heute ist die voll der Sonne ausgesetzte Mulde am unbequemen Steilhang ein sanft terrassiertes Garten­universum voller schattiger und besonnter Winkel. Pfade führen in Ecken, die jeweils ein gärtnerisches Thema oder bestimmte Pflanzenfamilien ins Bild setzen. Jeder Stein und jede Pflanze sehen aus, als wären sie schon immer dort gewesen.

Doch es ist durchkomponierte Natur, samt Wäldchen, Weiher, Steg und Bänklein mit den schönsten Ausblicken. Und hätte nicht kürzlich das Buchsbaum-Triebsterben zugeschlagen, würden immer noch akkurat gestutzte Buchsbaumreihen dem modernen Einfamilienhaus eine schlosswürdige Perspektive verleihen.

«Pflanzen können leider nicht lesen»
Was so spontan und wie aus einem Guss aussieht, sei in Wahrheit das Resultat ständig neuer Anläufe gewesen. Viele Vorhaben scheiterten oder wurden der Wunschvorstellung nicht gerecht. «Wir hatten am Anfang überhaupt keine Ahnung und machten auch später immer wieder Fehler. Fast alle Ecken des Gartens haben wir seither mehrmals von Grund auf neu angelegt», erzählen die beiden.

Was sie dank viel Schweiss und Lehrgeld gelernt haben: «Pflanzen können nicht lesen. Sie halten sich nicht an das, was über sie im Katalog steht. Der individuelle Standort und der Boden sind viel entscheidender», sagt Barbara Scalabrin. Die elegante Buchsbaumallee beispielsweise entstand erst, nachdem die anfängliche Rosenallee an der windstillen Zentral­achse ständig vom Pilz befallen war und nie so prächtig gedieh wie erhofft.

Überhaupt hätten sie anfangs hauptsächlich auf das Bunte und die Blüten geachtet und deshalb fast nur Blumen und Stauden gepflanzt. «Später planten wir zuerst die Gehölze und ihre Grüntöne und Blattformen. Denn die Gehölze bilden jene Strukturen, die alles andere erst zur Geltung bringen.» Und wenn dann ein Pilz oder Schädling auch die florierende Buchsbaumparade zu Fall bringt, ist das ein Beweis für die grundlegende Erkenntnis Nummer 2: «Ein Garten ist nie fertig und nie überall perfekt. Ein Garten ist immer im Wandel.»

Vom Staudenkenner Hans Frei gelernt
Als alles anfing, unterrichteten beide, sie an der Primarschule und er am Gymnasium. Abends und am Wochenende arbeiteten sie weiter an ihrem Gartentraum. Schon bald nahm Barbara Scalabrin die Fäden straffer in die Hand, sie war nun angefressen. So sehr, dass sie drei Jahre später ihre Stelle als Lehrerin aufgab und beim Staudengärtner Hans Frei in Wildensbuch ein zweijähriges Volontariat antrat. Ihr «Lehrmeister» war unter anderem bekannt für seine Sammlung alter Pfingstrosensorten, die beim Schloss Charlottenfels einen neuen Standort gefunden hat (AZ vom 22.5.2015 und 2.6.2017).

Am Morgen arbeitete Barbara Scalabrin im Treibhaus und im Freiland, am Nachmittag setzte sie das Gelernte im eigenen Garten um. «Eine halbe Gärtnerstelle müssten wir wohl auch heute noch einrechnen, um den Standard auf Dauer halten zu können», sagt Claus Scalabrin. Doch auch mit 79 und 75 Jahren kümmern sie sich noch selbst um ihren Traumgarten, immer zu zweit, immer morgens ein paar Stunden.

Sie schneidet die Gehölze und überlegt, was wo rein und was wo raus sollte. Er ist eher fürs Jäten und für das Grobe zuständig und nennt dies «eine gute Arbeitsteilung». Denn das Jäten sei wichtig – und damit meine er nicht, wahllos jeden Keimling auszureissen. «Alles, was heute an unseren Wegrändern wächst, ist irgendwann von selbst dorthin gekommen. Aber auch das muss gepflegt werden», erklärt er.

Will heis­sen: Anderswo im Garten Gepflanztes darf sich versamen oder sonstwie an neue Stellen wandern, die dem Gewächs passen. «Auch dabei ignorieren manche Pflanzen die Expertenmeinungen und machen sich an offiziell hoffnungslosen Orten breit», ergänzt sie und lacht. «Das meiste konnte seinen Platz aber nur finden, weil wir nicht ständig stochern», ergänzt er. Zum Beispiel klappe die Verbreitung zweijähriger Pflanzen nur, sofern man nicht zu viel jäte.

Keinen Medienrummel mehr
Der Altemer Garten machte Furore. Normalerweise wird der Schulthess-Gartenpreis des Schweizer Heimatschutzes an Gemeinden und Institutionen vergeben, doch 1999 gewannen ihn fünf private Gärten in der Schweiz gemeinsam, darunter jener in Alten. Ab dann klopften nacheinander die Medien an. Zeitschriften und sogar TV-Sender kamen zu Besuch.

Um die Publikumsnachfrage etwas bündeln zu können, organisierten die Scalabrins erstmals einen Tag der offenen Gartentüre und arbeiteten dann lange im Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Gartenkultur mit. «Als ein paar Jahre später einer dieser Aktionstage von früh bis spät einem endlosen Trekking durch unsere engen Weglein glich, beschlossen wir, auszusteigen.» Seither öffnen sie den Garten ganz gezielt nur für ein interessiertes Wunschpublikum.

Gar «unvergesslich» nennen die beiden die Dreharbeiten für eine Seniorensendung des japanischen Fernsehens: «Weil die Japaner so viel arbeiten, leiden sie nach der Pensionierung offenbar unter einer Leere, und die Sendung sollte Lust aufs Gärtnern machen», erzählt sie. Zur Vorbesichtigung seien zwei Japaner gekommen. Nach einem Monat kehrten sie zu sechst zurück, staubten die Eibenhecke ab und gingen zwei Tage lang mit Scalabrins im Schlepptau durch den Garten. «Das Team filmte stundenlang und sendete zuletzt 15 Minuten. Wir haben bis heute keine Ahnung, ob die Japaner unsere Auskünfte richtig verstanden und übersetzt haben.»

Inspiriert von Gleichgesinnten
Inzwischen nehmen es beide deutlich ruhiger. Wie seit vierzig Jahren reisen sie, um öffentliche und private Gärten und Gärtnereien zu besuchen, sich inspirieren zu lassen und Freundschaften zu pflegen. Ihr Schwerpunkt ist Nord­england: «Die Gelassenheit und gleichzeitig die Leidenschaft, mit denen Britinnen und Briten ihren Garten pflegen, ist unser vermutlich grösster Lehrmeister und Tröster.» Setzlinge und Samen bringen sie aber nur noch ausnahmsweise nach Hause. «Unser Garten verwandelt sich nun selbst. Wir möchten vor allem noch sichten und geniessen und allenfalls sanft korrigieren.»

Welt der Gärten

Es gibt sie in allen Formen, sie werden leidenschaftlich umsorgt, damit sie erblühen und gedeihen: die Gärten. Über den Sommer wirft die Redaktion einen Blick hinein. (az)

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