Noch vor zwei Jahren stand Petra Winkler um 2:30 Uhr morgens in der Backstube, den Duft von frischem Brotteig in der Nase. Heute ist sie im Schichtbetrieb der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) als Trampilotin auf den Strassen Zürichs unterwegs. Statt Mehlstaub umgibt sie nun der Grossstadtverkehr, statt Gebäck bringt sie Menschen ans Ziel.
Petra Winkler stammt aus einer traditionsreichen Bäckerfamilie. In vierter Generation übte sie das Handwerk aus. «Es ist nach wie vor eine Leidenschaft», sagt die heute 50-Jährige. Dennoch hielt sie das nicht davon ab, im April 2024 ihre 43-tägige Ausbildung zur Trampilotin zu beginnen. Vor ihrer Tramkarriere war sie zuletzt bei der Bäckerei Kilchsperger in Kleinandelfingen angestellt. In ihren Mittzwanzigern hatte es sie auch ins Ausland gelockt. So buk sie eine Zeit lang in Florida, wo es ihr so gut gefiel, dass sie sogar beinahe geblieben wäre.
Als ihre beiden Töchter zur Welt kamen, wollte sie sich um die Familie kümmern. Dabei kam ihr erneut die Ausbildung als Bäckerin zugute, da sie so, als die Kinder bereits älter waren, am Wochenende arbeiten und etwas dazuverdienen konnte. Doch mit den Jahren fühlte sie sich immer ausgelaugter. Die körperlich schwere Arbeit mit Mehlsäcken und die immer frühen Arbeitszeiten forderten zunehmend ihren Tribut. «Ich war einfach müde», erzählt sie. «Kurz vor meinem Fünfzigsten war für mich klar: Wenn ich jemals noch etwas an meinem Beruf verändern will, dann muss ich das jetzt tun!»
Neue Anforderungen und Umstände
Gedacht, getan. Der Weg zur Trampilotin war jedoch keineswegs einfach. Besonders die Orientierung in der Stadt Zürich sowie die Angst vor anspruchsvollen Prüfungen machten der Quereinsteigerin anfangs zu schaffen. «Zuerst musste ich alle Tramlinien lernen. Ich habe die körperliche Anstrengung gegen eine mental anspruchsvolle Aufgabe getauscht.» Die Voraussetzungen, um Trampilotin werden zu können, hat sie erfüllt. Dafür brauchen Bewerber einen gültigen Führerschein und eine abgeschlossene Ausbildung. Zudem dürfen sie keine Rot-Grün-Sehschwäche haben und der BMI muss unter dem Wert 33 bleiben. Die Stadt Zürich war ihr fremd, und der Gedanke, neu anzufangen, setzte sie unter Druck. Den Widrigkeiten zum Trotz kämpfte sie sich mit viel Willen und der Unterstützung ihrer Familie durch die Ausbildung, bestand die Prüfungen und fand schnell grosse Freude am neuen Beruf.
Neben dem Wunsch nach Abwechslung spielten für sie auch finanzielle Überlegungen eine Rolle. Ihr Mann stehe aktuell zwei Jahre vor der Pensionierung, und das Einkommen aus ihrem Bäckerhandwerk hätte langfristig nicht ausgereicht, um die entstehende finanzielle Lücke zu schliessen. Der Wechsel zu den Verkehrsbetrieben Zürich versprach nebst einer spannenden neuen Aufgabe auch eine finanzielle Verbesserung: Sie verdient laut eigener Aussage mehr als zuvor.
Zwischen Stadt und Land
Seit über einem Jahr fährt Petra Winkler mit dem Auto aus Dätwil (Gemeinde Andelfingen) in die Stadt, um die Stadtzürcher mit dem ÖV zu chauffieren. Während den Fahrten auf verschiedenen Linien durch Zürich geniesst sie vor allem die Vielseitigkeit des Berufs und den täglichen Kontakt mit unterschiedlichen Menschen. «Ich liebe es, unterwegs zu sein und die Stadt auf diese Weise immer wieder neu zu entdecken», sagt sie lächelnd. Natürlich gibt es auch herausfordernde Momente – sei es im dichten Verkehr, bei der Koordination mit anderen Verkehrsteilnehmenden oder im Umgang mit Fahrgästen, die in letzter Minute noch mitfahren möchten. Die Trams haben laut ihr ausserdem bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h einen Bremsweg von 150 Metern – jederzeit muss sie aufmerksam auf den Strassenverkehr achten.
Trotz ihrer tiefen Verwurzelung im Weinland sagt sie: «Ich habe zwei Welten: die Stadt Zürich während meiner Arbeit und das ruhige Leben in Dätwil mit meiner Familie», beschreibt sie zufrieden ihren Alltag.
Für andere Menschen, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, später im Leben noch einmal beruflich neue Wege zu gehen, hat Petra Winkler klare Worte der Ermutigung: «Hat man in der Schweiz einen guten Lehrabschluss, stehen einem fast alle Türen offen. Man muss nicht sein Leben lang den gleichen Beruf ausüben.
Von der Backstube ins Tram