Weinland

«â€¦â€‰we frässed er d Frösche, we schlucked ers abe …?

Kennen Sie diesen Spruch aus Ihrer Kindheit? Galt der Spott den Einwohnern Ihres Nachbardorfs? Dann sind Sie im Weinland in bester Gesellschaft. Die Rivalitäten waren gegenseitig – und selten wirklich originell.

von Silvia Müller
25. August 2023

Manche Geschichten verdienen es, aufgeschrieben zu werden, bevor sie vergessen gehen. Die folgenden Sprüche gehören in diese Kategorie, zumindest aus lokalhistorischer Sicht. Denn im Weinland leben immer mehr Menschen, die ihre Jugend nicht hier verbracht und somit keine Ahnung von den althergebrachten Rivalitäten haben.

Die Alteingesessenen wissen zwar meist auch nicht mehr, was vor langer Zeit einmal den Anlass zu den Spottversen und -namen gegeben hatte. Falls es denn überhaupt irgendwann einen konkreten Grund dazu brauchte. Aber die heutigen Seniorinnen und Senioren lieferten sich als Kinder an den Dorfgrenzen noch traditionsgemässe Wort- und sonstige Scharmützel, wie eine Umfrage des AZ-Teams ergab. Vieles davon sei aber verflacht oder bereits vergessen, stellten einige Gewährsleute unabhängig voneinander fest.

Der im Titel angedeutete Spruch beweist, dass sumpfige Böden und Riede bis vor wenigen Jahrzehnten geradezu identitätsstiftende Bestandteile des Weinlands waren: «Oerlinger Pösche, we frässed er d Frösche, we schlucked ers abe, ir gruu­sige Hagle?», rief beispielsweise die inzwischen ins Alter gekommene Mar­thaler Jugend den Gleichaltrigen aus Oerlingen hinterher.

Fröschenhausen wehrt sich
Der Grund für den wahren Sachverhalt liegt weit zurück im Jahr 1850, als der zum Kloster Rheinau gehörende künstlich angelegte Fischzuchtweiher bei Oerlingen nach über 400 Jahren entleert wurde. Daraus entstand ein Ried, in welchem die Frösche prächtig gediehen, wie der Broschüre «Die Gemeinde Kleinandelfingen» von 1992 zu entnehmen ist: «Das brachte dem Dorf den Übernamen ‹Fröschenhausen› ein. Noch bis in die 1960er-Jahre wurde dort gefröschet.» Zumindest die Oerlinger gingen also tatsächlich auf Froschjagd. Und es ist kaum anzunehmen, dass sie ihre Hosenbeine lediglich für auswärtige Feinschmecker hochkrempelten und selbst nichts von der zarten Beute verzehrten.

Wahr ist aber auch, dass man sich gegenseitig nicht lumpen liess. Die Oerlinger hätten sich zu wehren gewusst, erzählt der Marthaler Historiker Reinhard Nägeli. Sie lebten weiter oben am Niderbach und hätten auf diesem Wasserweg «selbst auch immer wieder unliebsame Botschaften» nach Mar­thalen hinuntergeschickt – genau so, wie die Benkemer am Kohlfirst den Abistbach als Transportmittel für Beleidigungen und Übleres nach Mar­thalen nutzten.

Ein Spruch macht die Runde
Vielleicht liegts aber auch nur an der bildlichen Kraft des Froschfresserspruchs, dass er auch anderswo im Weinland beliebt war. So widmeten die heutigen Uhwieser Grosseltern in ihrer Jugend den exakt gleichen Spruch den Dachsemern. Und noch in den Fünf­zigerjahren beschimpften auch die Eschliker Jugendlichen die nur 1,2 Kilometer entfernt lebenden «Welsiker Pösche» als «truurigi Hagle» und natürlich als Froschfresser.

Die Marthaler wiederum lästerten längst nicht nur über die Oerlinger. Mit den Benkemern hatten sie auch ihre Händel, was unter anderem mit der Wasserversorgung zu tun hatte. Die Benkemer galten ihnen als grossspurige Besserwisser. Davon zeugen die Sprüche «Gang ewägg, ich chome vo Bänke» und «Nid umesuscht giits z Bänke die meischte Meistere» in Anspielung auf den häufigen Familiennamen.

Das Dorf Alten war bis 1868 noch abgelegener als heute. Bis dann gab es dort keine Brücke, man gelangte nur mit einer Fähre über die Thur. Dass im kleinen Nachbarort seit jeher massive Grabenkämpfe ausgefochten wurden, führte in Marthalen zum Bonmot «Wänn der aant Altemer hüscht (links) wott, saat der ander gwüss hott (rechts).»
 
Auch die Ossinger hatten offenbar weitherum ihren Ruf: Bei undisziplinierter Gesprächskultur in Sitzungen und Gesellschaften solle man mit dem Spruch «Mir händ doch do kan Ossinger Tisch» zur Ordnung gemahnt haben. Die immer noch gebräuchliche Bezeichnung «di Halslose» hingegen geht auf das Vereinsturnen zurück und war mehr Bewunderung als Spott: Die Ossinger Athleten waren lange sehr erfolgreich in Disziplinen wie Stein­stossen, was dem Team zu markanter Hals- und Schultermuskulatur verhalf.

Thalheim brauchte sich bis 1878 um den Spott ohnehin nicht zu sorgen, hiess es doch Dorlikon, was an Trottel- oder Tubelhausen erinnerte. Wenn jemand begriffsstutzig war, fragte man landauf, landab: «Ja, bisch du dänn vo Torlicke?» Dass die Zürcher Obrigkeiten den Namenswechsel zum harmlosen «Thalheim» zu Recht bewilligten, beweist auch der Spottspruch: «S gröscht Dorf im Züripiet isch Torlicke, s chliinscht Güetighuuse.»

Animositäten im Grenzgebiet
Rund ums Flaachtal treffen Zürcher, Schaffhauser und deutsche Gemeinden aufeinander – ein hervorragender Nährboden für gegenseitige Feindbilder und Sticheleien. Vermutlich gäbe es Dutzende davon aufzulisten, doch konkret zu Ohren gekommen ist der Redaktion bisher nur ein Kompliment alter Bergemer an die Gräsliker: «Ihr seid bei uns immer willkommen, wenn ihr horizontal im schwarzen Einspänner zu uns geführt werdet.» Und ein einstiger Sekundarlehrer in Flaach habe die Schüler der höher gelegenen Dörfer systematisch und abschätzig als «Irchel­chnölle» bezeichnet und auch so behandelt.

Im Stammertal werden die Klischees gar noch liebevoller am Leben gehalten als anderswo. Mehr dazu in einer kommenden AZ-Ausgabe.

Schmackhaft, aber grausam geschlachtet

Froschfleisch war früher auch in der Schweiz eine weit verbreitete Delikatesse – es schmecke ähnlich wie Hühnerfleisch, sei aber feuchter und zarter. Seit 1966 sind in der Schweiz alle Amphibien geschützt, und der heimische Nachschub ist somit versiegt. Von den meisten Restaurantspeisekarten sind die Froschschenkel seither verschwunden, doch nach wie vor werden jedes Jahr 65 Tonnen Froschschenkel und lebende Frösche importiert, hauptsächlich aus Wildfang in der Türkei und Asien.

In den Herkunftsländern führt die Dezimierung der insektenvertilgenden Amphibien zu schwerwiegenden Veränderungen im Ökosystem. Die Schweizer Konsumenten dürften den Teller aber eher aufgrund der grausamen Schlachtmethode von sich schieben: Die wechselwarmen Tiere werden beim Einfangen oft schwer verletzt, für den Transport stark abgekühlt und in dieser Kältestarre vor der Zubereitung lebendig zerteilt. In Europa werden nur die Schenkel verwendet, über 80 Prozent des Fleisches landen im Schlachtabfall. Nach wiederholten erfolglosen Vorstössen im Nationalrat ist seit September 2022 eine neue Motion hängig, mit der die Zürcher Grüne Meret Schneider ein Importverbot fordert. Der Bundesrat empfiehlt dem Parlament erneut die Ablehnung. (sm)

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