Weinland

Wenn alles schnell weg muss

Mit einem Riesenrun trotz Riesenhitze begann gestern die viertägige Liquidation eines Landhauses. Riesig ist auch das Angebot an Möbeln, Geschirr und Kunst.

von Silvia Müller
28. Juni 2019

Wer rechtzeitig zur Eröffnung der Liquidation um neun Uhr vorfuhr, staunte ob der Verkehrskadetten und der schon sehr langen Reihe Autos auf dem nahen Feldrand. Die Autobeschriftungen und die ungewohnten Nummernschilder verrieten es: Die Händler und Experten warteten bereits in Pole-Position beim Haus auf Einlass. Sie wussten schon bei der Anreise, was sie ergattern wollten, denn der Liquidator Jürg Hoss hatte Beschreibungen und Bilder der gefragten Stücke ins Internet gestellt. Kurz darauf standen die professionellen Käufer bei der Kasse, bezahlten für ihre Eroberungen und zogen unter den wachsamen Augen von Sicherheitskräften wieder ab, vorwiegend mit Bildern, Kunstobjekten und Sammlerstücken.

Sichtbare Lücken im Angebot klafften trotzdem keine. Die Besitzerin, eine alte Frau, habe Zeit ihres Lebens wirklich sehr vieles gesammelt, erklärte Jürg Hoss. Er und sein Team hatten in wochenlanger Vorarbeit alles sortiert und mit Preisschildern versehen zum Verkauf ausgelegt. Auf den antiken Möbeln lockten wertvolles Geschirr, Tafelsilber, Nippes, Statuen, Lampen … und das alles in opulenten Massen.

Kunst (fast) aller Preisklassen
Die Wände waren tapeziert mit zahllosen Bildern, Stichen und Radierungen zu Preisen zwischen 12 und 36'000 Franken – so viel kostete ein Aquarell von Camille Pissarro. Nach dem Abzug der Profieinkäufer klebten die höchsten Preisschilder zudem an Wasserfarbenbildern von Raoul Dufy (24'500), Maurice Utrillo (24'000), an einer zweifarbigen Farbstiftskizze von Toulouse-Lautrec (18'500) und an einer Litho von Miró (3800). Daneben hängen Dutzende preiswertere Originale von weniger bekannten Künstlern.

Bis am Samstagabend werde fast alles verkauft sein, sagt der erfahrene Liquidator Jürg Hoss voraus. Was nicht weggehe – am ehesten der gewöhnliche Hausrat und Nippes – gebe er gemeinnützigen Institutionen weiter, zum Beispiel Brockenhäusern.

Alles oder nichts
Er führt jedes Jahr 12 bis 15 solche Haushaltauflösungen durch. «Unsere Bedingung ist: alles oder nichts. Natürlich können die Familienmitglieder besonders bedeutsame persönliche Erbstücke zurückbehalten, doch wenn sie alle Rosinen rauspicken und uns nur den Rest zur Liquidation geben wollen, nehmen wir den Auftrag nicht an.»

So sind denn auffallend schöne alte Möbel für sehr wenig Geld angeschrieben – etwa geschnitzte und bemalte Kästen und Truhen für teilweise weit unter 1000 Franken, billiger als jedes Spanplattenmöbel. Wieso das? Ein Liquidator könne anders rechnen als Ladengeschäfte. «Wir bezahlen weder Miete, Lager noch Transport, und die Käufer müssen alles selbst abbauen und abtransportieren», erklärt Jürg Hoss.

Trotzdem – diese Stücke wurden einst sicher sehr viel teurer bei Antiquitätenhändlern gekauft. Warum nehmen Erben solche Abschreiber in Kauf? «In der Regel, weil sie selbst alt sind und langsam ihr eigenes Haus räumen sollten. Je älter jemand wird, umso häufiger kann oder will niemand mehr seinen Nachlass übernehmen.»

Landhausstil und Textiles boomt
Dass Landhausstil und rustikale Möbel wieder boomen, sei für den Verkaufsgang hier von Vorteil, sagt Jürg Hoss. Wieder en vogue ist auch die Leidenschaft der Hausbesitzerin für textile Arbeiten. Etliche Spinnräder, ein Schrank voller pflanzengefärbter Wolle und Häkel- und Stricknadeln warten auf Kreative. Und was passiert mit der Immobilie? Extra dafür ist der Willensvollstrecker Thomas Hux vor Ort. Er zeigt den Interessenten das zum Verkauf stehende Haus am Brunnenrain 24. Sollten sie sich nicht für den ganz gros­sen Kauf entscheiden können, hat Jürg Hoss ersatzweise genug Kleines zu bieten.

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