Zivilschutzabbau just jetzt?

Region - Konsternierung beim Sicherheits-Zweckverband Weinland: Ab 1. Januar 2021 wird die Truppe quasi über Nacht halbiert und gleichzeitig der Einsatzbereich erweitert. Der Zweckverband wird nochmals auf die unmögliche Lage aufmerksam machen.

Silvia MĂĽller (sm) Publiziert: 13. März 2020
Lesezeit: 3 min

An die Delegiertenversammlung senden die 22 politischen Gemeinden des Sicherheits-Zweckverbands Weinland – kurz «Zivilschutz» genannt – jeweils die zuständige Person aus dem Gemeinderat. Am Mittwoch trafen sich die Frauen und Männer im Gemeindehaussaal von Unterstammheim.

Als Hauptthema lancierte Zweckverbandspräsidentin Beatrice Ammann (Stammheim) die Umsetzung des neuen Bundesgesetzes über den Bevölkerungsschutz und den Zivilschutz ab Januar 2021. «Dass dieses Gesetz im Dezember total schlank und ohne Gegenstimmen sowohl vom Nationalrat als auch vom Ständerat genehmigt wurde, beweist, dass sich die Ratsmitglieder wohl sehr intensiv damit befasst haben», sagte sie ironisch.

Denn der Zivilschutz könne mit dieser Neuausrichtung ab dem Jahreswechsel seinen Leistungsauftrag für die 31'317 Einwohner im Zweckverbandsgebiet nicht mehr erfüllen. «Bald fehlen genau die Leute, die bei einer Epidemie wie der aktuellen nötig wären», sagte Beatrice Ammann und forderte die Delegierten auf, sich beim Bund und Kanton schriftlich dagegen zu wehren. Der Zweckverband werde diesbezüglich etwas vorbereiten.

Kommandant Thomas Schaller erklärte die Hintergründe. Der zweite Teil der Gesetzesrevision betrifft den Zivilschutz. Hier sieht der Bundesrat eine Reduktion und Flexibilisierung der Schutzdienstpflichtdauer vor, wobei eine Angleichung an die Armee erfolgen soll. Dabei gibt es zwei Lesarten, die sich beide schlecht auf die Truppenstärke im Weinland auswirken. «Die zweitschlechteste Variante wäre die Lesart, dass die Soldaten zwölf Dienstjahre nach dem Grundkurs entlassen werden», erklärte Thomas Schaller, also im Alter zwischen 32 und 36. «Das Worst-Case-Szenario wäre, wenn die Lesart sich durchsetzt, dass die Soldaten stur nach Jahrgang entlassen werden.» In diesem Fall werden Ende Jahr auf einen Schlag 125 Dienstleistende der Jahrgänge 1980 bis 1989 entlassen – ein plötzlicher, grosser Abgang von erfahrenen Dienstleistenden und Gruppenführern. Von 33 Korporalen blieben nur 10 übrig, betonte der Kommandant. Auf der anderen Seite stehen nur 25 Neuzugänge. Quasi über Nacht würde der Bestand von 272 auf 172 Männer sinken – von 95 auf 60 Prozent des heutigen Sollbestands. Bis 2025 würde dieser sukzessive wieder auf 69 Prozent steigen.

Nicht ganz so dramatisch verläuft die Reduktion im Weinland beim Entlassungsmodell nach Dienstalter: 2021 würde der Bestand von einem Tag auf den anderen von 272 auf 226 (79 Prozent) sinken. Im Januar 2025 wären wieder 91 Prozent der heutigen Stärke erreicht. «Wir können nur hoffen, dass diese Umsetzung kommt», sagte Beatrice Ammann.

Coronavirus und andere Ernstfälle
Sorgen machen den Verantwortlichen, dass die Verkleinerung gleichzeitig mit einer umfassenderen Aufgabendefinition geschehen soll. So will der Bund mit dem neuen Gesetz ausdrĂĽcklich den Schutz kritischer Infrastrukturen sowie die Schutz- und Abwehrmassnahmen gegen Cyber- und ABC-Risiken verbessern (ABC-Schutz umfasst alle Massnahmen zur Abwehr und Vermeidung atomarer (A), biologischer (B) und chemischer (C) Bedrohungen und Gefahren).

«Es ist paradox: Während wir hier an der Versammlung über absehbare Engpässe bei solchen Ernstfällen sprechen, leisten bereits Zivilschützer erstmals Einsätze, die durch das Coronavirus ausgelöst wurden», sagte Kommandant Schaller. Vor einem Jahr hätte niemand damit und schon gar nicht in diesem Ausmass gerechnet. Vielleicht seien schon nächste Woche überall im Land Zivilschutzdienstleistende deswegen im Einsatz. «Wenn das Entlassungsmodell unseres Worst-Case-Szenarios zur Anwendung kommt, könnten ab 2021 in solchen Fällen nicht genug Einsatzkräfte bereitstehen.» Für ihn ist klar: die Reduktion sei eine «Schreib­tischentscheidung und zudem nicht konkret durchgerechnet.»

Leichter nachzuvollziehen war die Jahresrechnung: Bei einem Aufwand von 489'000 und einem Ertrag von 48'000 Franken entsteht ein Aufwandüberschuss von 441'000 Franken, den die 22 Verbandsgemeinden im Bezirk im Verhältnis der Einwohnerzahlen tragen.