Weinland

Zum Trinken derzeit verboten, zum Bewässern aber Luxus

Die Quelle Langmühle ist seit März wegen Überschreitung der Chlorothalonil-Höchstwerte vom Trinkwassernetz abgehängt. Statt ungenutzt in den Bach zu fliessen, wird das Wasser nun zur Bewässerung abgegeben.

von Silvia Müller
04. August 2020

Seit diesem Jahr sind Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Chlorothalonil in der Schweiz verboten. Die toxikologische Neubeurteilung des Wirkstoffes betrifft auch dessen Abbauprodukte (Metaboliten) im Trinkwasser. Über Nacht wurde der zulässige Grenzwert von 10 auf 0,1 Mikrogramm pro Liter gesenkt, also um den Faktor 100.

Das Kantonale Labor Zürich informierte die Wasserversorgungen der Gemeinden über die Situation und forderte sie auf, das von ihnen abgegebene Trinkwasser analytisch zu überwachen. In Ossingen zeigte sich, dass die Höchstwerte an zwei Orten überschritten werden: im Brunnen in Langenmoos und in der Quelle Langmühle.

Am Laufbrunnen wurde ein deutlicher Hinweis angebracht, und die Quelle ist seit dem 5. März vom Trinkwassernetz abgehängt. Sie lieferte bisher 30 bis 40 Prozent des Ossinger Frischwassers. Seit der Umstellung stammt alles Trinkwasser aus der Gruppenwasserversorgung Thurtal-Feldi und allenfalls aus Ossingens zweitem Standbein, dem Rheingrundwasser der Wasserversorgung Andelfingen.

Der Gemeindevorstand überlegte, wie die reichlich fliessende Quelle trotzdem genutzt werden könnte. Das Kantonale Labor bestätigte, dass dieses Wasser ohne Bedenken zum Bewässern landwirtschaftlicher Kulturen eingesetzt werde dürfe. Nach einigen baulichen Vorbereitungen konnte schon Mitte Juli der erste Landwirt seinen leeren Tankwagen beim Reservoir Steinacker füllen.

Heisse, trockene Sommer in Folge
Ein Augenschein vor Ort mit Gemeindepräsident Martin Günthardt und Wasserwart Hansruedi Mettler: Soeben stellt sich ein Traktor mit 25-Kubikmeter-Tank auf der Zufahrt unterhalb des historischen Pumpenhäuschens auf. Durch eine einfache Installation aus Plastikrohren pumpt er das Wasser in den Anhänger hoch. «Das Quellwasser fliesst von selbst ins 200-Kubik-Becken unter dem Pumpenhäuschen. Von hier aus wird es normalerweise ins Reservoir Truttikon hochgepumpt», erklärt Hansruedi Mettler. Seit dem Nutzungsverbot als Trinkwasser musste man das Quellwasser direkt in den Bach und somit in die Thur ableiten.

«In den letzten heissen und trockenen Sommern waren viele landwirtschaftliche Betriebe mehrmals zum Bewässern gezwungen. Am Ende mussten die Wasserversorgungen zum Sparen aufrufen. Die Aussicht, teures Trinkwasser zum Bewässern einzukaufen und damit gleichzeitig zur Trinkwasserknappheit beizutragen, gefiel uns nicht», erklärt Martin Günthardt.

Möglichst wenig Personalaufwand
Der Gemeindevorstand liess deswegen für insgesamt rund 7000 Franken das Nötigste herrichten: hauptsächlich eine extern angebrachte elektronische Steuerung mit Schliessvorrichtung für die ebenfalls neue, kleine Pumpe im Inneren.

Die Wasserrohre, die einfache Zufahrt und die Aufschüttungen erstellten Hansruedi Mettler und sein Team mehrheitlich selbst. «Wichtig war uns, die Steuerung von aussen zugänglich zu machen, damit die Wasserbezüger nicht auf unsere Präsenz angewiesen sind», erklärt er – so will die Gemeinde die Lohnkosten tief halten. Die Wasserbezüger bezahlen 80 Rappen pro Kubikmeter; Trinkwasser kostet in Ossingen 55 Rappen mehr.

Das Angebot habe sich bereits he­rumgesprochen, berichtete Hansruedi Mettler zwei Wochen später. «Beim Start sagten viele Landwirte noch, sie müssten sich zuerst um ihre Tankwagen und Bewässerungssysteme kümmern und umdisponieren. Doch das haben sie anscheinend sehr schnell erledigt. Die Nachfrage übertrifft bereits alle unsere Erwartungen.»

Ossingen habe als erste Gemeinde eine solche Übergangsnutzung aufgegleist. Andere hätten bereits ähnliche Absichten angekündigt, beispielsweise Thalheim in Gütighausen, wo ebenfalls eine Quelle vom Netz genommen werden musste.

Dauer unbestimmt
Wie lange die Quelle zum Bewässern dient, ist schwer zu sagen. Es hängt davon ab, wie schnell die Pflanzenschutzmittelrückstände abgebaut werden – das dauert ganz sicher mehrere Jahre. Möglicherweise bringt aber ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schon früher Bewegung in die Sache. Dort ist die Beschwerde des Agrarchemieunternehmens Syngenta hängig. Dieses wirft dem Bund unwissenschaftliches Verhalten vor und wehrt sich gegen das Verbot der Substanz.

«Wir sind auf jeden Fall froh, dass wir unser Wasser schon jetzt wieder sinnvoll nutzen können», sagt Gemeindepräsident Martin Günthardt. «Von der Chemie verstehen wir Laien ja nicht genug. Die wenigsten können wohl abschätzen, ob das Verbot berechtigt ist. Ich habe irgendwo gelesen, dass ich jeden Tag den Inhalt von 100 Badewannen trinken müsste, bevor es langsam gefährlich würde.»

Diese Rechnung hat Martin Günt­hardt vermutlich vom Landwirtschaftsjournalisten Jürg Vollmer aufgeschnappt. Dieser hat am 1. März in seinem Watson-Blog «Die Pestizid-Hölle Schweiz ist nur ein Furz im Wasserglas» vorgerechnet, wie wir diesen Grenzwert viel leichter erreichen: mit rund 250 Gramm Erdbeeren pro Tag.

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