Weinland

«Das Vertrauen in den Kanton in Sachen Tiefenlager leidet»

Der Kanton will im Gebiet Rheinau – Marthalen ein Grundwasserschutzareal einrichten – gleich neben dem Planungsareal für ein Tiefenlager. Die Grundeigentümer verstehen die Welt nicht mehr.

von Silvia Müller
04. Oktober 2019

Regierungsrat Martin Neukom hat letzte Woche einen offenen Brief aus dem Weinland erhalten («AZ» vom 27.9.19). Thema: Die Rolle des Kantons im Sachplan zur Tiefenlagersuche. 101 Personen aus den Reihen von Like Weinland (Ländliche Interessengemeinschaft kein Endlager im Weinland) forderten den Leiter der Baudirektion auf, die Interessen der Gemeinden und Grundeigentümer wirklich engagiert zu vertreten – also so, wie es die Zürcher Regierung den potenziellen Standortregionen auf Zürcher Boden seit Jahren zusichert.

Ein nicht öffentlicher Infoabend wenige Tage zuvor hatte die diesbezüglichen Zweifel der betroffenen Grundeigentümer verstärkt. Jürg Rasi ist einer von ihnen: «Wir erfuhren von den Verantwortlichen des Gewässerschutzes, dass der Kanton im Gebiet Rheinau – Marthalen ein Grundwasserschutz­areal einrichten will», erzählt er.

Sehr schnell sei am Infoabend «Unmut» aufgekommen – nicht über die Absichten, das Grundwasservorkommen nach dem Vorsorgeprinzip zu schützen, sondern darüber, dass dieses Areal «direkt neben dem geplanten Atomendlager» eingerichtet werde. «Die paar Betroffenen hier in Rheinau und Marthalen sollen für den Grossraum Zürich – Winterthur das riesige Grundwassergebiet auf eigene Kosten schützen wie den Heiligen Gral und bekommen zum Dank unmittelbar neben dem Grundwasserareal den giftigsten Abfall der Schweiz» – das sei nicht akzeptabel und schädige das Vertrauen.

Bauernopfer schon beschlossen?
Die Betroffenen hätten den Eindruck, dass der Kanton «ein schlechtes Spiel spiele», um das nationale Tiefenlagerprojekt nicht zu gefährden, fasst Jürg Rasi zusammen. Man befürchte, dass der Kanton «die paar kleinen, abgelegenen Landgemeinden in Wahrheit schon geopfert» habe.

Dazu passe das Signal, das der Kanton nun in Sachen Grundwasserschutz aussende. Geschützt werden solle dort, wo es für die Eigentümer und die Bewirtschafter zur finanziellen und betrieblichen Last werde, aber nicht gleich nebenan, wo es ihnen ausser der Kostensteigerung auch Planungssicherheit verschaffen würde. «Wenn schon, dann soll der Kanton gleichzeitig auch das umittelbar daran angrenzende Areal schützen.» Die zuständigen Stellen legen sich «nicht ernsthaft ins Zeug» für die ihr anvertrauten Gemeinden, sagen die Betroffenen. Sie finden es «bedenklich, dass bisher handfester Widerstand und fundierte Kritik nicht etwa von den kantonalen Experten kamen, sondern von Laien».

Ganz besonders stört die Betroffenen, dass der Kanton sein selbstdefiniertes Hauptkriterium, den Grundwasserschutz, selektiv anwendet. «Die Grundwasservorkommen in grosser Tiefe sind kein Thema, sie werden bewusst ausgeblendet», sagt Rasi. Die Abklärungen und Bohrungen im Weinland gehen weniger tief als bewilligt. So wurden für die bevorstehenden Tiefbohrungen bis zu 2000 Meter beantragt, ausgeführt werden aber nur 1090 Meter (in Marthalen) und 1360 Meter (in Trüllikon 1). Der Opalinuston wird in einer Tiefe von 900 Metern erwartet. Für Like Weinland ein Zeichen, dass «man gar nicht tiefer blicken will».

Ressourcenkonflikt ignorieren?
1500 bis 2500 Meter unter der Erdoberfläche liegt das Tiefengrundwasser, mengenmässig ein Vielfaches des derzeit genutzten Grundwassers aus höher liegenden Schichten. Das Tiefengrundwasser wird in vielen Nachbarländern intensiver genutzt als in der Schweiz, etwa in Mineral- und Thermalquellen oder zur Energiegewinnung. Die Schweiz hat die Nutzung dieser Ressource noch nicht geregelt.

«Im Sachplanverfahren werden die Ressourcen in grosser Tiefe bewusst nicht in Betracht gezogen», schliesst Jürg Rasi daraus. Die Bohrungen der Nagra hören «genau da auf, wo diese Ressource anfängt. Dabei wäre jetzt der richtige Moment, um diese Problematik auch gleich mit zu untersuchen».

«Die Nagra weiss sogar sehr viel über die Tiefengrundwässer»

Die Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) hat den Auftrag, in den möglichen Tiefenlagerstandortregionen die nötigen erdwissenschaftlichen Untersuchungen durchzuführen. Dazu zählen auch hydrogeologische Abklärungen der grossen Grundwasservorkommen im Bereich des Rheinauerfelds.

Den Vorwurf, dabei bewusst einen Bogen um die Tiefengrundwässer zu machen (siehe Haupttext), weist Medienstellenleiter Patrick Studer zurück: «Die Nagra weiss sogar sehr viel darüber. Voraussichtlich noch dieses Jahr erscheint ein Technischer Bericht zum Thema. Dieser wird von Geologen der Uni Bern geschrieben und fasst alles zusammen, was man über die Tiefengrundwässer in den Standortregionen bereits weiss. Bei den aktuell laufenden Bohrungen gewinnen wir weitere Erkenntnisse über die Tiefengrundwässer ober- und unterhalb des Opalinustons. Dies ist einer der Gründe, weshalb wir tiefer bohren als bis zum Opalinuston in rund 900 Metern.» Bis nächstes Jahr vervollständigt und veröffentlicht die Nagra einen weiteren Technischen Bericht, in den auch diese Erkenntnisse einflies­sen werden. Dessen Verfasser ist der seit Kurzem pensionierte langjährige Nagra-Chefgeologe Andreas Gautschi. Eines seiner Spezialgebiete sind Tiefengrundwässer. (sm)

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