Weinland

Die Suche nach Wohnraum

In den Gemeinden der Bezirkslösung Asyl müssen ab Juni 101 zusätzliche Plätze für Asyl­suchende bereitstehen. Die Behörden appellieren an die privaten Immo­bilienbesitzer und an das Gewerbe – ohne deren Mittun sei diese Pflicht nicht erfüllbar.

von az/Silvia Müller
12. April 2023

Rund 16'000 Asylsuchende wurden  2022 dem Kanton Zürich zugewiesen. Das waren mehr Menschen, als im Jahr zuvor in der ganzen Schweiz Zuflucht gesucht hatten. Die kantonale Sicherheitsdirektion erhöht daher per 1. Juni 2023 die Aufnahmequote für alle Zürcher Gemeinden von 0,9 auf 1,3 Prozent der Wohnbevölkerung. Dies bekommt nun auch der Bezirk Andelfingen zu spüren.

Im Bezirk sind zurzeit 332 Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus S aufgenommen, also 32 mehr als vorgeschrieben. 277 davon sind aus der Ukraine, die anderen aus den Kriegsgebieten in Syrien und Afghanistan. «Um die neue Quote ab 1. Juni zu erfüllen, müssen wir noch 101 Personen zusätzlich aufnehmen», erläutert Sergio Rämi, der Präsident des Gemeindepräsidentenverbands Bezirk Andelfingen (GPVA) und zugleich Vorsitzender der Asylkoordination Bezirk Andelfingen.

Aufnahmedruck steigt im Sommer
Es sei zurzeit schwierig, abzuschätzen, wohin die Entwicklung gehe. Sollte sich in den Kriegsgebieten eine Entspannung abzeichnen, könnte sich dies lindernd auf die Zuwanderung auswirken. Doch erfahrungsgemäss nehmen die Zuweisungen im Sommer zu, unabhängig von akuten Ereignissen. Sergio Rämi: «Die Fluchtroute übers Mittelmeer wird vorwiegend während der Zeit von Frühling bis Herbst gewählt. Dies spricht dafür, dass höhere Zahlen zu erwarten sind.»

Diese Tatsache macht nicht nur ihm Sorgen: «Die regulären Aufnahmekapazitäten sind erschöpft. Der kantonale Gemeindepräsidentenverband hat in seiner Medienmitteilung klargemacht, dass nun auch die Reservekapazitäten des Bundes aktiviert werden sollten. Weiter regt die Sicherheitsdirektion in ihrem Schreiben zur Erhöhung der Quote auch die Nutzung von Kollektiv­unterkünften als Möglichkeit an.»

Gemeinden brauchen Angebote
Die Arbeitsgruppe Asyl sucht gemeinsam mit der Asylkoordination Andelfingen nach Lösungen, damit die Gemeinden die neue Aufnahmequote menschenwürdig, aber auch tragbar erfüllen können. Viele Gemeinden haben bereits seit April 2022 hohe Aufnahmezahlen ausgewiesen.

«Die Asylkoordination hat Wohnraum zugemietet, um das Kontingent vollumfänglich erfüllen zu können», erklärt Markus Bettler, Teamleiter der Koordinationsstelle. Für die aktuell gültige Quote reiche dieser Wohnraum gerade aus, aber die Gemeinden «halten diesbezüglich keine Reserven, sondern suchen Wohnraum bei Bedarf». Dabei sei man natürlich auch auf das Entgegenkommen von Vermietern angewiesen, und deshalb lanciere man diesen Aufruf in den Mitteilungs­blättern und der Lokalpresse.

«Falls Sie im Bezirk Andelfingen eine freie Wohnung oder geeigneten Gewerberaum besitzen, welche sie den Schutzsuchenden zur Verfügung stellen möchten, melden Sie sich bei Ihrer Gemeinde», so der Aufruf. Denn die Gemeinden mieten die Wohnungen für die Asylsuchenden und schlies­sen mit der Asylkoordination Andelfingen einen Untermietvertrag. Für die Unterbringung von Asylsuchenden ist danach die Asylkoordination Andelfingen zuständig.

Doch die sehr kurze Frist von drei Monaten bis zur Erhöhung der Aufnahmequoten stellt die Gemeinden vor grosse Herausforderungen.

Wohnraum nicht das Einzige
Das Bereitstellen des Wohnraums sei nicht die einzige Hürde, betont Christian Noth. Der Gemeindeschreiber von Stammheim ist zugleich Sekretär des Gemeindepräsidentenverbands und der Bezirksarbeitsgruppe Asyl. «Schon jetzt sind 127 der 332 hier aufgenommenen Menschen Kinder im Schulalter. Bei Kindern mit mangelhaften oder fehlenden Deutschkenntnissen sind die Schulen stark gefordert, und die angepasste Betreuung kostet Geld.» Zudem sei es auch schwierig, den Menschen eine Vernetzung mit Einheimischen zu ermöglichen.

Auf dem Land fehlt es an Mietwohnungen

Bisher sei es innerhalb des Bezirks «besser gelaufen als anderswo, niemand musste umplatziert werden», betonen Sergio Rämi und Christian Noth. Nun käme aus allen Dörfern aber das gleiche Signal: praktisch kein Wohnraum mehr in Aussicht. Denn verglichen mit den Städten fehlen auf dem Land die Mietwohnungen. «Natürlich besitzen einige Gemeinden ein paar Wohnungen beispielsweise für Senioren, aber die sind alle vermietet. Wir sehen es nicht als Option, bisherige Mieter auf die Strasse zu stellen, um neue Quoten zu erfüllen.» Dazu käme, dass die vor mehr als sieben Jahren aufgenommenen Asylbewerber offiziell inzwischen zwar aus der Statistik gefallen seien, manche von ihnen aber weiterhin in den Gemeinden lebten. Ihr dort belegter Wohnraum sei ebenfalls nicht mehr flexibel verfügbar.

Die Sozialvorsteher einiger Gemeinden hätten längst ein Suchabo auf Immobilienplattformen eingerichtet und gingen jedem Angebot nach, erzählt Christian Noth. «Aber Private stellen ihre Wohnungen oft nicht für die Nutzung im Asylbereich zur Verfügung.»

Die Hoffnung richte sich deshalb vermehrt auch auf leer stehende Gewerbe­räume, die zu Wohnraum umgebaut oder umgenutzt werden könnten. Die Bezirkslösung käme für die Arbeiten und die Infrastruktur auf. Weiterführende Szenarien seien Wohncontainer, die für diesen Zweck neu auch ausserhalb der Bauzone aufgestellt werden dürften. Und als letzte Option die Unterbringung in Zivilschutz­bunkern. «Leider können wir Land­gemeinden keine grossen Bunker mit genügender Wohnqualität bieten», sagt Christian Noth, und die beiden müssen lachen. Mit Galgenhumor allein werden sie dieses Problem aber nicht lösen können. Deshalb hoffen sie auf handfeste Angebote und Verträge. (sm)

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