Ein vertrautes, aber dennoch bewegendes Bild: Auf dem hohen Mast neben der Greifvogelstation thront ein Storchennest – gut sichtbar schon von der Hauptstrasse aus. Darin: drei muntere Jungvögel, die am Donnerstag beringt wurden. Margrith Enggist von Storch Schweiz leitete die Aktion, unterstützt von ihrem Mann Peter Enggist und der Feuerwehr Andelfingen, die mit einer Hebebühne den sicheren Zugang zum Nest ermöglichte.
Bei der Beringung erhielten die Jungstörche einen Kunststoffring mit individueller Kennung ans Bein. Laut Margrith Enggist besteht der Ring aus leichtem, UV-beständigem Kunststoff, der wie ein Scharnier zusammengeklappt und dauerhaft verschlossen wird. In der Regel lasse sich der Ring von Hand zusammendrücken, nur in wenigen Fällen sei eine spezielle Zange erforderlich. Der Ring werde oberhalb des Sprunggelenks angebracht und müsse so sitzen, dass er sich frei bewegen könne, ohne das Bein einzuengen oder zu scheuern. Die ganze Prozedur dauere nur wenige Minuten.
Früher seien ausschliesslich Metallringe verwendet worden, die schwerer waren und mit der Zange um das Bein gebogen werden mussten – dabei musste sehr darauf geachtet werden, dass die Verschlusslappen korrekt zusammengebogen wurden, um Verletzungen auszuschliessen. Mit den heutigen Kunststoffringen sei das Risiko deutlich geringer, sie liessen sich zudem aus der Distanz besser ablesen, erklärte sie. Die modernen Ringe trügen eine gut sichtbare Buchstaben-Zahlen-Kombination, mit der sich jeder Storch individuell identifizieren lasse – ein grosser Fortschritt für den Vogelschutz.
Ziel der Beringung sei es, mehr über den Lebensweg der Tiere zu erfahren: Wohin sie ziehen, ob sie zurückkehren, wo sie später eigene Nester bauen. Diese Informationen seien wichtig für den Artenschutz und die wissenschaftliche Langzeitbeobachtung. Nur speziell geschulte Personen dürfen eine Beringung durchführen. Margrith Enggist ist eine von wenigen offiziell lizenzierten Storch-Beringerinnen der Schweiz. Ihre Ausbildung hat sie über die Schweizerische Vogelwarte Sempach absolviert – seit über 40 Jahren ist sie mit Leidenschaft im Einsatz.

Verhalten Jungvögel und Eltern
Der Zeitpunkt der Beringung ist entscheidend: Jungstörche werden im Alter von etwa fünf bis sieben Wochen beringt – alt genug, um den Eingriff gut zu überstehen, aber noch nicht flugfähig. Dabei zeigen sie ein typisches Verhalten: Sie stellen sich tot – ein angeborener Reflex, den sie bei Bedrohung durch Greifvögel oder andere Feinde zeigen. Besonders dann, wenn die Altvögel auf ausgedehnter Futtersuche sind, weil die Jungen mehr Nahrung benötigen, steigt die Gefahr. Das Nest bleibt in dieser Zeit unbewacht. Dieses Totstellverhalten hätten sie auch während der Beringung gezeigt – was den Eingriff erleichtert habe, so Margrith Enggist. Die Altstörche seien währenddessen in der Nähe geblieben und wenig später zurückgekehrt. Die Elterntiere würden instinktiv erkennen, dass keine ernsthafte Gefahr für ihre Jungen bestehe. Gelegentlich entdeckten die Beringer bei der Kontrolle Jungvögel mit Schnüren oder Plastikresten um den Schnabel, berichtete Margrith Enggist. Diese stammten meist aus dem Nistmaterial, das die Altstörche ins Nest trügen. Solche Fäden könnten die Nahrungsaufnahme behindern oder sogar die Schnabelöffnung oder auch die Beinchen blockieren. Wenn möglich, würden die Schnüre direkt vor Ort vorsichtig entfernt – in den meisten Fällen ohne bleibende Folgen. Nur wenn sich das Material nicht lösen lasse oder ein Jungtier deutlich geschwächt sei, werde es zur weiteren Behandlung einem Tierarzt übergeben oder in eine Pflegestation gebracht. Solche Fälle seien jedoch selten.
Ein Erfolg mit Geschichte
Dass es in Berg am Irchel überhaupt wieder Nachwuchs gibt, ist das Ergebnis eines langjährigen Engagements (AZ vom 3.4.2021). Seit mehreren Jahren zieht ein Storchenpaar regelmässig Küken gross. Andreas Lischke, Leiter der benachbarten Greifvogelstation, hat zuvor über ein Jahrzehnt vergeblich versucht, die Weissstörche ins Flaachtal zurückzuholen. Der Durchbruch ist ihm mit einem Trick gelungen: Er hat einen lebensgrossen Plastikstorch aufgestellt, um Artgenossen anzulocken. Denn Störche lassen sich nur dort nieder, wo sie andere Störche sehen. Die Methode hat gewirkt: Schon bald hat der erste echte Storch über dem künstlichen Kollegen gekreist. Seit 2021 kommt dasselbe Paar jedes Jahr zurück – und sorgt seither regelmässig für Nachwuchs.
Für Andreas Lischke ist das mehr als ein persönlicher Erfolg, wie er im April 2021 der AZ sagte. Der Storch gehöre einfach in die Thurauen, sagte er. Weitere Nisthilfen seien bereits in der Region installiert – mit etwas Glück würden in den kommenden Jahren noch mehr Paare folgen. Und mit ihnen: viele weitere kleine Ringe, die grosse Geschichten erzählen.
Jungstörche im Höhenflug