Weinland

Pfarrstellenprozente bringen Kirchgemeinden in Bredouille

Der Kirchenrat der Reformierten Landeskirche hat die Pfarrstellen nach einem neuen Raster zugeteilt. Für die Amtsperiode 2020 bis 2024 bedeutet das weniger Prozente für die Kirchgemeinden. Das ist für einige prekär, weshalb sie einen Antrag auf Erhöhung gestellt haben.

von Cindy Ziegler
30. August 2019

Pro Dorf ein Pfarrer – genauso wie ein Polizist, ein Lehrer und ein Pöstler. So war es früher, und die Arbeit in der Kirche war ein Vollzeitjob. Das hat sich mit den Jahren geändert, und die Pfarrstellenprozente in den Dörfern wurden weniger. Auf nächstes Jahr hat der Kirchenrat die Stellenzuteilung nochmals neu geregelt – mit teilweise gros­sen Auswirkungen für die Kirchgemeinden.

Der Bezirk Andelfingen zählt 13 Kirchgemeinden, 5 davon arbeiten enger zusammen als Weinland Mitte (Benken, Marthalen, Ossingen, Rhein­au-Ellikon und Trüllikon-Truttikon). Die kleinsten Gemeinden haben alle weniger als 1000 Mitglieder und bekommen gemäss dem neuen Schlüssel ein Mindestpensum von 50 Prozent zugesprochen (im Bezirk: Benken, Dorf, Ossingen, Rheinau-Ellikon und Trüllikon-Truttikon). Sonst gilt die Faustregel: Pro 200 Mitglieder 10 Stellenprozente.

Zusätzliche Prozente
Grössere Kirchgemeinden mit einer Mitgliederzahl von 901 bis 1500 Personen (Altikon-Thalheim-Ellikon, Feuerthalen, Henggart und Marthalen) haben von der Synode im Sinne von Übergangsbestimmungen 80 Stellenprozente zugesprochen bekommen. Gemeinden mit 1501 bis 2000 Mitgliedern (Flaachtal und Stammheim) eine Vollzeitstelle. Weiter heisst es im Artikel 117 der neuen Kirchenordnung, dass Kirchgemeinden mit mehr als 2000 Mitgliedern (Andelfingen und Laufen) pro 825 Mitglieder zusätzlich 5 Stellenprozente erhalten.

Was nach einer fairen, mathematischen Verteilung klingt, hat ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Kirchgemeinden (mehr siehe Tabelle unten). Besonders viele Stellenprozente hätte das Flaachtal – nämlich 120 von ursprünglich 220 – abgeben müssen. Die Kirchgemeinde Flaachtal, die mit 1980 Mitgliedern knapp nicht die 2000er-Grenze knackt, hat deshalb ein Gesuch auf Erhöhung beim Kirchenrat eingereicht – und es bewilligt bekommen. Sie erhält zusätzlich 60 Prozent. Auch die Kirchgemeinden Andelfingen (+ 10 Prozent) und die Kirchgemeinde Laufen (+ 20 Prozent) haben positiven Bescheid auf ihre Anträge bekommen.

Noch offen ist das Gesuch der fünf Weinland-Mitte-Gemeinden, die sich gemeinsam gegen eine Reduktion ihrer Pfarrstellenprozente um 100 Prozent (von 380 auf 280) stellen. Christa Fehr, Präsidentin der Bezirkskirchenpflege (mehr im Interview unten), hofft, dass der Kirchenrat auch dieses Gesuch bewiligt. Das regionale Zusammenarbeitsprojekt Weinland Mitte sei erst noch im Aufbau. «Es braucht mehr Prozente für diesen Prozess», so Christa Fehr. Denn die Aufbauarbeit müssten die Pfarrpersonen zusätzlich leisten.

Dass die Situation in diesen Gemeinden sowieso schon schwierig ist, ist bekannt. So haben Benken und Rheinau-Ellikon keine Kirchenpflege, sondern werden je von einem Sachwalter geführt (die «AZ» berichtete). Rheinau hat keinen eigenen Pfarrer mehr, in Benken ist derzeit Stephanie Gysel zu 50 Prozent als Pfarrerin angestellt. Die anderen Gemeinden sowie Rheinau-Ellikon werden von den drei Pfarrpersonen Ernst Friedauer (Marthalen), Hannes Brüggemann (Ossingen) und Anita Keller Büchi (Trüllikon-Truttikon) betreut.

 Für Christa Fehr ist es nicht selbstverständlich, dass die Bisherigen sich, falls der Antrag abgelehnt wird und nicht mehr Stellenprozente bewilligt werden, zur Wiederwahl stellen. Denn im Februar 2020 stehen die Wahlen der Pfarrpersonen für die nächste Amtsperiode an.

Gemeinden Mitglieder per 31.12.2018  Aktuelle Pfarrstellenprozente Prozente ab 2020
Altikon-Thalheim-Ellikon  1356 80 % Kirchgemeinde Seuzach-Thurtal
Andelfingen 2976 200 % 170 + 10 %
Benken 452 60 % 50 %
Dorf 361 60 % 50 %
Feuerthalen 1246 100 % 80 %
Flaachtal 1980 220 % 100 + 60 %
Henggart  1210 100 %  80 %
Laufen 2301 160 % 130 + 20 %
Marthalen  1121 100 % 80 %
Ossingen 839 80 % 50 %
Rheinau-Ellikon 433 60 % 50 %
Stammheim  1729 100 % 100 %
Trüllikon-Truttikon  883 80 % 50 %
       
Weinland Mitte 3728 380 % 280 % (Gesuch noch offen)


Benken, Marthalen, Ossingen, Rheinau-Ellikon und Trüllikon-Truttikon arbeiten als Weinland Mitte zusammen. Ihr Gesuch auf zusätzliche Prozente ist noch offen. Ihre Anträge bereits bewilligt bekommen haben die Kirchgemeinden Andelfingen, Flaachtal und Laufen. Altikon-Thalheim-Ellikon wird sich ab 2020 der neu gegründeten Kirchgemeinde Seuzach-Thurtal anschliessen.

Nachgefragt
«Man möchte immer noch taufen und heiraten»


Braucht es heute noch in jedem Dorf einen Pfarrer?
Christa Fehr*: Die Gemeindemitglieder in den Dörfern halten immer noch an diesem altmodischen Denken fest und wollen einen eigenen Pfarrer. Aber gleichzeitig sind die Kirchenbesuche rückläufig. Sich an ein neues Muster zu gewöhnen, zum Beispiel daran, den Gottesdienst in einer anderen Gemeinde zu besuchen, braucht Zeit. Es bietet aber auch eine Chance: Man kann frei entscheiden, in welchen Gottesdienst und zu welcher Pfarrperson man gern gehen möchte. Und die Mobilität ist vorhanden, denn es gibt Fahrdienste. Die ältere Generation, die gerne im eigenen Dorf  in die Kirche geht, nimmt ab. Das ist Fakt.

Ist es ein Vorteil, dass die Kirchgemeinden vermehrt zusammenarbeiten?
Ich sehe das als Vorteil. In einem grös­seren Gebilde können sich die Mitglieder gezielter das holen, was sie von der Kirche und deren Angeboten wünschen.

Welchen Stellenwert hat die Kirche heute?
Auf jeden Fall einen anderen als noch vor 50 Jahren. Die traditionellen Handlungen haben sich aber trotzdem nicht massgeblich verändert: Man möchte auch heute noch gerne taufen oder heiraten und hat den Anspruch auf eine kirchliche Abdankung. Auch das pädagogische Konzept – die Angebote von der 2. Klasse bis zur Konfirmation – hat einen hohen Stellenwert. Danach gibt es Lücken. Was heute beliebter ist als früher, sind besondere Gottesdienste, zum Beispiel im Wald. Das klassische Am-Sonntag-in-die-Kirche-Gehen ist nur noch der älteren Generation wichtig.

Wie muss sich die Kirche in Zukunft gestalten?
Es muss beides geben: das Traditionelle und das Moderne. Ein klassischer Gottesdienst ist für mich persönlich eine Tankstelle und genauso wichtig wie die Lebendigkeit, die beispielsweise bei einer Feier mit Kindern herrscht. An Vielfalt, die die Pfarrpersonen und die Kirchenpflegen anbieten, fehlt es nicht. Manchmal ist es vielleicht sogar ein bisschen viel.

Was bedeutet die neue Zuteilung der Pfarrstellenprozente fĂĽr kleinere Gemeinden, wie es die meisten im Bezirk sind?
Die Bevölkerung kann nicht abschätzen, was es bedeutet, wenn ein Pfarrer nur noch 50 Prozent arbeitet. Die Mitglieder denken: «Wenigstens haben wir noch eine Pfarrperson im Dorf.» Sie sind ein bisschen gleichgültig. Man muss sich aber bewusst sein, dass eine Pfarrperson mit einem 50-Prozent-Pensum nur noch an zwei oder drei Tagen vor Ort ist – zur Hälfte wegen Gottesdiensten. Für die Pfarrperson ist das existenziell. Pfarrer zu sein, ist bei 100 Prozent ein Beruf, von dem man leben kann. Wenn die Prozente massiv gekürzt werden, geht es um finanzielle Sorgen, und die Pfarrperson muss vielleicht die Stelle wechseln.


Interview: Cindy Ziegler

*Zur Person: Christa Fehr wohnt in Berg am Irchel und ist Präsidentin der Bezirkskirchenpflege Andelfingen. Diese Behörde hat den Auftrag, das kirchliche Leben in ihrem Bezirk zu fördern und zu beaufsichtigen.

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