Weinland

Ausnahmepraxis aufgehoben

Bislang wurden Autos in der blauen Zone an Abdankungen nicht kontrolliert. Diese ungeschriebene Praxis hat der Gemeindepräsident vergangene Woche im Eilverfahren aufgehoben.

von Evelyne Haymoz
04. Oktober 2022

Es geschah vergangenen Dienstag. Der Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma kontrollierte auf dem Andelfinger Marktplatz die parkierten Autos in der blauen Zone. Mit korrekt eingestellter Parkscheibe dürfen diese maximal eine Stunde und 29 Minuten lang dort stehen. Die Autorin stand daneben. «Spätzlipfanne»-Wirt Marcel Meisterhans rief ihm zu: «Du musst nicht kontrollieren. In der Kirche findet eine Abdankung statt.» Der Uniformierte erwiderte: «Wenn die Barriere unten ist, hält man auch. Beerdigung hin oder her.» Es folgte ein Telefonat mit seiner Chefin. Tatsächlich: Er hätte am Morgen kontrollieren sollen.

Es gelte die Regel, dass an Nachmittagen mit Abdankung nicht kontrolliert werde, da es bei einer Beerdigung unmöglich sei, das Auto innerhalb einer Stunde wieder in den Verkehr zu bringen, erklärte Marcel Meisterhans. Der Wirt wusste weiter, dass die Gemeinde den Sicherheitsdienst vorgängig informiere.

Daraufhin sammelte der Kontrolleur die drei Bussenzettel wieder ein. Zufällig kam Gemeindepräsident Hansruedi Jucker auf den Marktplatz: Von dieser «Regel» hätte er nichts gewusst. In den Tagen danach hob er die ungeschriebene Praxis auf.

«Praxis hatte sich eingeschlichen»
Auch die übrigen Behördenmitglieder hätten nichts gewusst, sagte Hansruedi Jucker am Donnerstag gegenüber der AZ. «Diese Praxis muss sich in den letzten 10 bis 15 Jahren eingeschlichen haben», vermutet der seit 2014 amtierende Präsident. Es gebe auch keinen schriftlichen Beschluss.

Weshalb also bei Abdankungen nicht kontrolliert wurde, könne heute aufgrund personeller Wechsel in der Behörde und in der Verwaltung nicht mehr nachvollzogen werden, sagte er. In Andelfingen gebe es andere grosse Anlässe wie Gerichtsverhandlungen oder Trauungen – notabene offizielle Amtshandlungen. Auch diese führten immer wieder zu «Parkplätze suchendem Verkehr», aber nicht zu Ausnahmen. Die eingeschlichene Praxis widerspreche nicht nur dem Auftrag des Sicherheitsdiensts, sondern auch dem Ziel, «Lang- und Dauerparkierer von blau markierten Parkplätzen fernzuhalten und diese den Einkaufskunden zur Verfügung zu stellen», so Hansruedi Jucker.

Neu teile die Verwaltung dem Sicherheitsdienst nicht mehr mit, wann eine Abdankung stattfinde. Dafür händige das Bestattungsamt neu denjenigen, die einen Todesfall melden, einen Plan mit möglichen Parkplätzen aus: im Parkhaus, beim Park-and-Ride beim Bahnhof oder in der oberen Dorfhälfte entlang der Reitplatz- oder der Landstrasse. «Die Strassen sind teilweise breit genug», so der Gemeindepräsident.

«Suboptimaler Entscheid»
Laut Hansruedi Jucker war die Praxis der Behörde und der breiten Bevölkerung nicht bekannt. Dennoch war sie nicht geheim. Das zeigt ein Blick auf eine Bestattungsanzeige, die der AZ vorliegt. Unter anderem steht darin, wann die Abdankung stattfindet. Erstellt wurde sie vom Andelfinger Bestattungsamt. Das Amt schickte die An­zeige an vier Stellen, darunter die Gemeinde, in welcher der Verstorbene zuletzt gewohnt hat. Zuoberst im Verteiler steht der Sicherheitsdienst. Gleich daneben die Aufforderung: «Keine Bussen verteilen während der Beerdigung!». In Fettschrift.

Am Freitag informierte Hansruedi Jucker das Pfarramt der Reformierten Kirche Andelfingen. Dass während Abdankungen nicht gebüsst werde, gelte ihres Wissens seit der Einführung der blauen Zone, so Pfarrerin Dorothea Fulda Bordt. Weil der Hinweis auf jeder Bestattungsanzeige vom Bestattungsamt Andelfingen stehe, sei sie «nie auf die Idee gekommen, dass damit etwas nicht in Ordnung sein könnte», sagte sie gegenüber der AZ. Den «suboptimalen» Entscheid nehme sie zur Kenntnis. Er werde an der nächsten Kirchenpflegesitzung im November zur Sprache kommen.

Der Geschäftsleiter des Sicherheitsdiensts, Remo Fedi, schreibt auf Anfrage: «Die Kommunikation erfolgt über die Gemeinde.» Laut Firmenwebsite fliessen die Gelder aus Kontrollen zum Kunden, hier also zur Gemeinde Andelfingen. Mit dem Bussgeld werde der grösste Teil der Kosten gedeckt, die anfallen, um zu überprüfen, ob die Fahrzeuge in der blauen Zone die Parkzeit einhalten, so Hansruedi Jucker.

Der ruhende Verkehr auf dem Marktplatz wird laut ihm «mindestens einmal pro Woche an unterschiedlichen Tagen und zu unterschiedlichen Zeiten» kontrolliert. Ab sofort also auch an Nachmittagen, an denen die Kirchenglocken zu einer Abdankung läuten.<

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