Weinland

Eine verhängnisvolle Fahrt

War es ein einfaches Wendemanöver, oder raste der Mann auf seine Ex-Frau und das gemeinsame Kind zu? Gilt eine kurze ungewollte Autofahrt als Freiheitsentzug? Solche Fragen hatte die Richterin zu beantworten.

von Manuel Sackmann
27. Oktober 2023

Es ist nicht unbedingt alltäglich, dass sich zwei Menschen, die sich in einem Gerichtsprozess gegenüberstehen, gut verstehen. Noch spezieller ist die Situation, wenn es sich bei den Konfliktparteien um ein geschiedenes Ehepaar handelt, die Vorwürfe unter anderem Drohung, Nötigung und Freiheitsentzug beinhalten und sogar die gemeinsamen Kinder in das betreffende Ereignis involviert waren.

Doch genau mit dieser Ausgangslage bekam es das Bezirksgericht Andelfingen am Dienstag zu tun. Trotz früherer Gewaltschutzmassnahmen, die gegen den Beschuldigten erwirkt wurden, hätten sie und die beiden Kinder heute wieder ein gutes Verhältnis zu ihm, gab die Klägerin vor Gericht zu Protokoll. Zwei volle Wochenenden, einen zusätzlichen Samstag sowie mehrere Wochen während der Schulferien seien die Tochter und der Sohn beim Vater, der zudem regelmässig Schwimmkurse und Fussballspiele des Nachwuchses besuche. Und auch der Verteidiger des Beschuldigten wurde nicht müde, zu betonen, dass er die mittlerweile verbesserte Beziehung der getrennten Familie nicht ruinieren wolle, während er gleichzeitig versuchte, die Schilderungen der Frau als unglaubhaft darzustellen, und ihr «diffuse Ängste» zusprach.

Inwiefern sich die Verurteilung des Vaters auf das familiäre Verhältnis auswirkt, wird sich zeigen. Denn das Andelfinger Gericht sprach ihn schuldig und auferlegte ihm eine mehrmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Ferien nach Besuchsverbot
Aber worum ging es genau? Nachdem der Angeklagte, ein 43-jähriger, nicht im Weinland wohnhafter Mann, seine Kinder aufgrund der Gewaltschutzmassnahmen vier Monate lang nicht besuchen durfte, bat ihn seine heute 47-jährige Ex-Frau im März 2022 darum, Tochter und Sohn für eine Woche in die Ferien mitzunehmen. Er habe sich sehr darüber gefreut und «bei der Arbeit alles auf den Kopf gestellt», um den Urlaub kurzfristig zu arrangieren, sagte der in der Baubranche tätige Mann. Ebenso kurzfristig habe die Frau die Ferien danach aber zunächst gestrichen und dann doch wieder erlaubt – angeblich, weil die Tochter krank war, es ihr später aber wieder besser ging.

Als der Beschuldigte seine Kinder am Wohnort der Klägerin im Weinland abholen wollte, gab es Streit zwischen dem geschiedenen Paar. In der Folge verschwand die Tochter im Haus, während der Sohn im Auto blieb. Als die Mutter den damals Siebenjährigen aus dem Fahrzeug holen wollte, fuhr der Vater los. Wie genau, darin unterscheiden sich die Schilderungen der Konfliktparteien.

Mit Frau und Kind davongefahren
Aus seiner Sicht stieg die Frau selbständig ein, sass vollständig auf der Rückbank und weigerte sich, den Wagen zu verlassen. Also sei er losgefahren, um wenigstens mit seinem Sohn in die Ferien gehen zu können. Sie hingegen sagt, sie hätte mit einem Bein noch aus­serhalb des Autos gestanden, als er Gas gegeben habe, und sei deshalb auf die Rückbank gefallen. Sie und ihr Sohn hätten geschrien, er solle anhalten und sie aussteigen lassen. Das Gericht erachtete es jedoch als irrelevant, wie genau sich die Frau im Fahrzeug befand. «Sie stieg nicht ein, um mitzufahren, sondern nur, um ihren Sohn herauszuholen. Der Tatbestand des Freiheitsentzugs ist damit erstellt», so die Einzelrichterin.

Daran ändere auch nichts, dass die Fahrt, wie beide Parteien bestätigten, nur wenige Minuten dauerte und bereits bei einem Feld am Dorfrand endete. Die Klägerin habe nicht wissen können, was der Beschuldigte vorgehabt habe, und wie weit es gehe.

Eine Bedrohung auf Rädern
Doch damit nicht genug. Als sie endlich aussteigen konnten, flohen Mutter und Sohn über das Feld, um möglichst schnell vom Vater weg und zurück nach Hause zu kommen. Das liess der Mann gemäss Anklage jedoch nicht zu und fuhr den beiden über das Feld hinterher, nur um kurz vor ihnen abzubremsen und abzudrehen. «Er tat so, als wolle er mich überfahren», sagte die Frau vor Gericht. Ausserdem habe er ihr immer wieder den Weg zu ihrem Sohn abgeschnitten. Erst nach dem dritten solchen Manöver sei dem Vater wohl bewusst geworden, was er tue, er habe angefangen zu weinen und sich schliesslich vom Tatort entfernt. «Er kam zu sich», wie es die Klägerin formulierte.

«Ich habe zu keinem Zeitpunkt irgendjemanden bedroht», beteuerte derweil der Beschuldigte, der die Ausführungen seiner Ex-Frau weitgehend regungslos und unbeeindruckt zur Kenntnis nahm. Die Frau sei von Anfang an, schon vor der verhängnisvollen Fahrt, völlig grundlos hysterisch gewesen. Nachdem er sie beim Feld habe aussteigen lassen, habe er ein einfaches Dreipunkt-Wendemanöver vollzogen. Dabei sei er aufgrund der engen Platzverhältnisse an dieser Stelle auch in einem engen Radius über die Wiese gefahren. Von «auf die Frau zurasen» wollte er nichts wissen. Viel eher sei sie nach dem Aussteigen vor seinem Auto durchgerannt, woraufhin er sofort gebremst und den Rückwärtsgang eingelegt habe. Der Sohn habe mindestens 15 Meter vom Fahrzeug entfernt gestanden.

Auch der Verteidiger, der den Mann nicht zum ersten Mal vertrat, gab an, die Frau habe vielleicht das Auto in ihrem Rücken gehört und Panik bekommen, obwohl es nur ein Wendemanöver gewesen sei. Schon während der Scheidung habe sie irrationale Ängste geäussert, die sie nicht näher habe beschreiben können.

Strafe ein wenig reduziert
Den vom Verteidiger gewünschten vollständigen Freispruch gab es jedoch nicht. Das Gericht erachtete die Aussagen der Klägerin als glaubwürdiger als diejenigen des Angeklagten und blieb in seinem Urteil näher an der Forderung der Staatsanwaltschaft. Es reduzierte die Freiheitsstrafe jedoch um zwei auf sieben Monate. Denn es kann nicht nachgewiesen werden, ob der Mann tatsächlich wie vorgeworfen alkoholisiert und somit fahruntauglich war und sich durch sein Entfernen vom Tatort vorsätzlich einer Alkoholkontrolle entzog.

Wohl sprach die Richterin den Beschuldigten aber der Drohung, Nötigung und des Freiheitsentzugs schuldig. Vermutlich nicht geholfen hat dem Mann, dass er während der Verhandlung oft genervt, desinteressiert und uneinsichtig wirkte und mehrmals Fragen auswich und auf Aussagen aus früheren Stadien der Untersuchung verwies.

Die Gefängnisstrafe wurde zugunsten einer vierjährigen Probezeit aufgeschoben, die Verfahrenskosten von rund 4500 Franken muss der Beschuldigte übernehmen.

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