Weinland

«Wir hatten eine gute Zeit»

Am Sonntag geht eine Ära zu Ende. Seit 27 Jahren sind Rös und Hans Zürcher für die Fähre zuständig. Sie transportierten auch Ponys und Töffs. Im Frühling übernimmt ein Verein.

von Roland Spalinger
13. Oktober 2023

Anekdoten haben Rös und Hans Zürcher viele zu erzählen. Folgende ist noch ganz frisch: An einem verregneten Tag im Sommer 2023 hörte Rös Zürcher doch noch die Glocke läuten, die die Fahrgäste jeweils betätigen, wenn sie transportiert werden wollen. Also ging sie zur Station, sah am deutschen Ufer eine Person mit schwarzem Velo und viel Gepäck. Sie löste die Kette, mit der die «Rüedifaar» am Steg gesichert ist, stiess ab und bemerkte beim Näherkommen, dass das Velo ein Pony war.

900 Kilometer sei die junge Frau bereits unterwegs gewesen, habe sie der Fährifrau beim Übersetzen erzählt. Diese tätschelte während der Fahrt das Tier. «So herzig» sei es gewesen, das Pony mit Gummihufschuhen habe problemlos in die Fähre gefunden und wieder hinaus und sei die ganze Zeit ruhig stillgestanden.

Problematischer sei die Fahrt mit zwei Lehrern gewesen, die ihre Schulreise rekognoszierten und mitsamt Töffs befördert werden wollten. Natürlich habe sie abgelehnt, aber die beiden hätten gemeint, das gehe schon. Vorwärts auf die Fähre in Ellikon ging es auch tatsächlich gut, aber rückwärts hinaus in Nack? Sie habe die Motorräder schon im Rhein gesehen, erzählt Rös Zürcher und schüttelt noch heute den Kopf. Passiert ist aber auch da nichts, wie immer während den 27 Jahren.

Mit der Fähre aufgewachsen
Rös Zürcher ist in Ellikon am Rhein aufgewachsen, das einst nebst Schule, Post und Laden auch eine eigene Feuerwehr hatte. Und eine Fähre, die jeweils bediente, wer grad da war. Als das Ehepaar Beldi 1996 nach 30 Jahren Fährbetrieb aufhörte, interessierten sich viele für die Nachfolge, aber niemand aus dem Ort. Zürchers halfen damals aus und bewarben sich doch noch.

Dafür hätte sie ihre Stelle bei der Kleinandelfinger Firma SMTEC AG aufgegeben. Der Betrieb wollte seine Mitarbeiterin aber nicht gehen lassen, und so bestückte Rös Zürcher fortan in Heimarbeit im gemieteten alten Zollhäuschen Leiterplatten für ihren Arbeitgeber. Und sie war nahe der Schifflände, wo sie unter der Woche die ersten 13 Jahre ihrer nunmehr 27-jährigen Tätigkeit allein die Fähre bediente.

«Sie hätte vieles aufgegeben, die Fähre nicht», sagt Hans Zürcher. Wie gut seine Frau dort verankert war und die Kundschaft kannte, merkte er, als er nach seiner Pensionierung öfter am Ruder stand. Als die Männergruppe am deutschen Ufer nicht aufhörte, zu erwähnen, sie seien doch immer von einer Frau gefahren worden, habe er etwas genervt die Gruppe stehen lassen, sei zurückgefahren und habe seine Frau gerufen, erzählt er und lacht.

Ein Hobby, das nichts kostet
27 Jahre hat die Fähre jeweils vom 1. April bis 15. Oktober ihre Leben bestimmt. Im Herbst hätten sie schon jeweils das Ende herbeigesehnt, sich im Februar dann aber auch wieder auf den Start gefreut. Von 9 bis 19 Uhr stellten sie den Betrieb sicher, ausser in der Mittagspause. Manche Gespräche hätten in der Fähre begonnen und seien dann auf dem Bänkli am Ufer fortgesetzt worden.

Zum Beispiel mit einem Gast der früheren «Sträulis Sonnenbeiz». Dieser habe sie beobachtet, die Zeit gestoppt für eine Fahrt hin und zurück und das Potenzial ausgerechnet: 400'000 Franken Einnahmen lägen drin. Hans Zürcher lacht noch heute – an manchen Tagen fahren sie wenig, dafür Gruppen, an anderen viel und bloss Einzelpersonen. Gezählt haben sie weder Fahrten noch Passagiere, sondern immer nur am Abend das Geld, «wegen der Steuern». Es sei ein Hobby, das nichts koste, fassen sie zusammen. «Die Präsenz darf man nicht rechnen.»

Als sie anfingen, kostete eine Fahrt 1 Franken, Hunde und Velos waren gratis. Der erste Aufschlag war auf 2, dann auf 2.50 Franken, und nun sind es 3 Franken. Velos, Hunde oder Ponys kosten 1.50. Verändert haben sich auch die Passagiere. «Die Leute haben zum Teil keine Geduld mehr», sagt Hans Zürcher. Er war zu Hause, hörte die Glocke, band die Schuhe und setzte sich aufs Velo. Als er bei der Fähre ankam, sah er die Gruppe auf der anderen Seite bereits davonlaufen.

Münsterfährer geht fremd
Und einmal sah er seine Fähre in Bewegung ohne ihn – Fährleute aus Basel hatten einen Ausflug nach Ellikon gemacht und sassen im Rheingarten. Als der Münsterfährmann die Glocke hörte, liess er Messer und Gabel liegen, legte ab und fragte sich erst mitten auf dem Rhein, was er denn da mache … so erzählt es Hans Zürcher, der am Ufer stand und sich ebenfalls wunderte.

Es gäbe noch viel zu erzählen. Zum Beispiel, dass sie zwischendurch, als die Si­tua­tion mit dem Restaurant Schiff im kleinen Ort alles andere als rosig war, selber Glacé und Getränke verkauften. Nun sagen sie nach einem perfekten Herbst «adieu» und «wir hatten eine gute Zeit». Sie seien auch über 80, allein machen könne man es nicht.

Nach ihnen übernimmt ein Verein mit zehn Personen. Einige machten diese Woche die theoretische Prüfung und werden Ende Oktober die praktische ablegen. Vor allem am deutschen Ufer sei anlegen nicht so einfach, wie es aussehe, sagt Rös Zürcher. Gelernt sein will aber auch das Steuern mit dem Hilfsruder statt dem Schwert. Dieses sei ihm einmal abgebrochen, sagt Hans Zürcher. Noch so eine Geschichte.

Die Fähre ist noch bis Sonntag, 15. Oktober, in Betrieb.

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