Weinland

Das Schülerparlament bestimmt: Jetzt gibt es eine Disco in der Pause

Megapause, ein Schulhaus-Tier oder der pausenplatzeigene Skatepark: An der Primarschule gestalten Schülerinnen und Schüler wesentliche Teile ihres Alltags selbst. Und lernen dabei viel über Politik.

von Tizian Schöni
05. April 2024

Alissa eröffnet die Versammlung: «Da wir gerade viele Neue dabei haben, machen wir erst eine Vorstellungsrunde», sagt sie. Die Sechstklässlerin ist Präsidentin des Schülerparlaments (Schüpa) an der Primarschule Henggart. Sie erklärt den anderen, wie die Vorstellung abläuft. «Jeder macht zwei Aussagen über sich, die eine richtig, die andere falsch. Jemand anderes muss dann erraten, welche von beiden die richtige ist.»

So geht das Spiel einmal in der Gruppe herum, bis alle Parlamentsmitglieder ihre Aussagen gemacht haben. Insgesamt zählt das Parlament 14 Köpfe, aus jeder Klasse ausser der ersten sind jeweils ein Mädchen und ein Junge abgeordnet. «In fast allen Klassen gibt es eine Kampfwahl», sagt Lehrerin Fleur Kamm, die das Schülerparlament betreut. In ihrer Klasse zum Beispiel müssten die Schülerinnen und Schüler aktiv für sich werben, um eine Chance auf den begehrten Abgeordnetensitz zu haben.

In UN-Konvention verankert
Die Schülerpartizipation ist nicht einfach eine Innovation der Primarschule Henggart, sondern schweizweit im Lehrauftrag verankert. Paragraf 50 des Volksschulgesetzes sieht eine dem Alter und dem Entwicklungsstand entsprechende Mitverantwortung und Mitsprache der Schülerinnen und Schüler im Schulbetrieb vor. Selbst in der UN-Konvention über die Rechte des Kindes findet sich ein entsprechender Absatz. In Henggart gehören dazu beispielsweise auch das «Pausenhüttli», ein Spielzeugverleih, der von den Sechstklässlern geführt wird. Oder der Klassenrat, eine Art Vorinstanz des Schülerparlaments. Nur was dort besprochen wurde, darf weiter ans Schüpa gereicht werden. «Das sorgt für eine gewisse Vorauswahl», sagt Fleur Kamm.

In der Parlamentssitzung leitet Alissa zum nächsten Traktandum über: Alle Abgeordneten aus den Klassen sollen erzählen, was bei ihnen demnächst ansteht. «Ein Vortrag über Haustiere», sagt eine Drittklässlerin. Nils aus der vierten Klasse berichtet, es komme bald ein neuer Schüler dazu. Und die sechste Klasse war gerade im Landesmuseum in Zürich.

Abstimmungen für die ganze Schule
Eine Hauptaufgabe des Parlaments ist die Vorbereitung der Vollversammlung, die zweimal jährlich stattfindet. Dann tragen die Schüpa-Mitglieder ihre Vorschläge und Ideen dem ganzen Schulhaus vor. Fast immer gibt es dann auch eine Abstimmung. Dieses Mal durften alle Schülerinnen und Schüler vorab Namen für die Projektwoche einreichen. Die Lehrpersonen wählten drei Vorschläge aus, die Vollversammlung soll nun über den definitiven Namen entscheiden können. Damit das gelingt, ist vorher aber – genau wie im Bundesparlament – aufwendige Kommissionsarbeit nötig. Vier Schüpa-Kinder schreiben an einem Skript, damit die Abstimmung sauber abläuft und alle die Regeln verstehen.

Eine andere Gruppe bereitet einen Jingle vor, der jeweils vor der Vollversammlung im Schulhaus abgespielt werden soll. Bereits hat das Grüppchen eine Melodie auf der App seines iPads zusammengestellt. Zwei Jungs meinen noch, es brauche «noch mehr Bass, mehr Bass!». Und die Lehrerin merkt an, es brauche noch einen passenden Slogan: «Voll, voller, Vollversammlung zum Beispiel?»

Präsidentin Alissa und ihre Vize Noelia werden die Vollversammlung moderieren. Sie schreiben den Ablauf noch einmal für sich auf und teilen die verschiedenen Moderationsteile auf.

Parlamentsarbeit in der Mittagspause
An Motivation mangelt es den jungen Parlamentarierinnen und Parlamentariern nicht. Die Sitzungen des Schüpa finden jeweils in der Mittagspause statt – insgesamt sieben Treffen sind es dieses Jahr. Doch das stört hier niemanden. «Die Kinder sind stolz auf ihre Aufgabe», sagt Fleur Kamm. Und sie können sich aktiv einbringen. Als letztes Traktandum steht nämlich noch eine Abstimmung auf dem Programm. Künftig sollen die Schüpa-Mitglieder an den Vollversammlungen T-Shirts tragen, damit sie als Delegierte aus den Klassen erkennbar sind. Über die Farbe und das aufgedruckte Logo dürfen sie abstimmen. «Blau, nehmt Blau!», schreit einer, Sekunden vor der Abstimmung. Andere werben für das Logo mit den aufstreckenden Händen. Das Votum fällt dann klar aus, es wird das blaue T-Shirt mit dem Logo Nummer drei. Nur hier fällt Präsidentin Alissa kurz aus ihrer Moderationsrolle: «Ich bin SEHR froh darüber», sagt sie, die offensichtlich einen Favoriten hatte.

Wem gehört der Fussballplatz?
Ein latentes Thema im Parlament ist etwa das Fussballspielen in der Pause. Welche Gruppe wo und wann kicken darf, hat sich schon zigmal geändert. Ganz so, wie es Gesetze in einem liberalen Rechtsstaat auch tun. Eine inzwischen etablierte Tradition ist die Megapause –  eine extra lange Auszeit, in der die Schülerinnen und Schüler Spiele und eine Disco organisieren. Die populäre Vorlage schaffte es durch alle Instanzen. Und dabei stammt die Idee ursprünglich nicht einmal aus der Schülerschaft, sondern von einer Lehrerin. Auch sie oder gar Eltern können dem Parlament über einen Briefkasten Vorschläge einreichen.

Es gibt auch gescheiterte Vorstösse: Die Betreuung eines Schulhaus-Tiers während den Ferien sei zu schwierig zu organisieren, befanden die Parlamentsmitglieder. Mobile Skatepark-Elemente sprengten den finanziellen Rahmen der Schule. Und Anträge wie «keine Mathe» scheiterten am gesetzlichen Lehrauftrag. Übergeordnetes Recht – ein Thema, über das derzeit an anderer Stelle im Weinland viel gestritten wird.

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