Weinland

Faszination Gottesbilder

Pfarrer Hans Peter Werren sammelt Ikonen, die religiöse Darstellungen von biblischen Gestalten, Heiligen und Engeln. Die Zerstörung solcher Bilder während der Reformation bezeichnet er als «Kulturfrevel».

von Christina Schaffner
24. Dezember 2021

Über dem Esstisch hängt eine grosse Ikone, die das letzte Abendmahl zeigt. Mitgebracht hat Hans Peter Werren sie aus Polen. Alle Jünger und Jesus haben einen goldenen Heiligenschein. Nur Judas nicht, der Jesus verraten hat. «Das ist auf allen Ikonen dieser Art so. Judas hat nie einen Heiligenschein», erklärt der Experte.

Der reformierte Pfarrer muss es wissen. Seit seinem Studium sammelt er Ikonen, wie die Heiligendarstellungen auf Holz heissen. Ikone, so erklärt er, bedeutet aus dem Griechischen übersetzt «Bild, Ebenbild». Nach dem Buch Genesis der Bibel ist der Mensch eine Ikone Gottes. 120 solcher Bilder nennt er inzwischen sein Eigen. Dank einer Liste weiss er, wann und wo er sie erstanden und wem er eine Ikone weiterverschenkt hat.

Zu jeder kann er eine Geschichte erzählen – nicht nur darüber, was darauf zu sehen ist und in welchem Zusammenhang dies steht, sondern auch, wie sie zu ihm kam. Denn für ihn steht fest: «Man kauft nicht einfach irgendeine Ikone. Man findet sie, weil sie einen anspricht.» Deshalb empfiehlt er Mitreisenden auf seinen Studientouren, nur dann eine zu erstehen, wenn sie sich sicher sind, eine Verbindung zu ihr zu haben.

Drei Ikonen-Arten
Es gibt drei Arten von Ikonen. Da wäre die einfache, aufgezogene, bei der ein gedrucktes Bild auf Holz aufgebracht wurde. Dann gibt es die «Handmade»-Ikonen, deren aufgebrachtes Bild von Hand nachbearbeitet wurde. Oft geschieht dies auch mit Blattgold, wie bei den «Handpainted»-Ikonen, den von Hand gemalten Bildern. Letztere sind die wertvollsten und werden in der Regel in sogenannten Malschulen angefertigt.

Heute ist es verboten, aus Russland Ikonen auszuführen, die älter als aus dem Jahr 1975 sind. Auch für neuere Exemplare braucht es ein Zertifikat, das bezeugt, dass die Ikone rechtmäs­sig erstanden und bezahlt ist. Glück hatte Hans Peter Werren vor vielen Jahren, als er eine ältere Ikone in einem Laden fand, für 20 Rubel kaufte und ausführen durfte. Es ist das Exemplar, für das er am wenigsten zahlte – das teuerste kostete ihn 900 Franken. Es ist eine Auftragsarbeit aus einer russischen Malschule, deren Werke vor zwei Jahren in der Andelfinger Kirche ausgestellt waren («AZ» vom 3.12.2019).

Ikonen zu sammeln ist nicht alltäglich – schon gar nicht für einen reformierten Pfarrer. Die Evangelische Kirche lehnt bildliche Darstellungen von Gott ab und kennt keine Heiligen – Darstellungen von biblischen Gestalten und von Jesus sind erlaubt. Das Gebot «Du sollst dir kein Gottesbild machen» liegt dem zugrunde. Hans Peter Werren sieht das für sich anders: «Fresken und Bilder in Tessiner Kirchen haben mir immer schon gefallen», erzählt er. Zudem hat ihn sein Latein- und Franzö­sischlehrer, bei dem er anlässlich dessen 60. Geburtstags am 8. Dezember 1978 zu Hause war, beeinflusst. «In seinem Haus wimmelte es von Büchern und Ikonen», erinnert sich Hans Peter Werren, «das hat mich ungeheuer fasziniert.» Als er dann im Herbst 1980 im Begegnungshaus der Jesuiten in der Kapelle die berühmte Dreifaltigkeitsikone von Andrej Rubljow sah, war es um ihn geschehen. Seither sammelt er Ikonen.

Fresken in Bergemer Kirche
Die Welt bilderfreundlich oder bilderfeindlich zu sehen, ist eine Grundentscheidung des Lebens. Jesus hat hauptsächlich in Bildern und Gleichnissen gesprochen. Die Zerstörung alter Bilder in Kirchen während der Reformation ist für Hans Peter Werren ein «Kulturfrevel». Schade findet er auch, dass die Fresken im Chor der Bergemer Kirche in der Reformationszeit derart übermalt wurden, dass sich diese Schichten bis heute nicht ablösen lassen, ohne sie zu zerstören. «Ich hoffe, eines Tages wird das möglich sein», sagt der Pfarrer. Bei jeder Renovation werde das versucht.

Seine erste Ikone war eine aufgezogene Nachbildung der Dreifaltigkeits-ikone aus dem Begegnungshaus. Zu mehr habe das Geld damals nicht gereicht. Er hält sie auch heute noch in Ehren. «Zum Glück durfte ich sie bereits drei Mal als Original in der Tretjakow-Galerie in Moskau anschauen», schwärmt er.

In den ersten 25 Jahren kamen nur rund 20 Ikonen hinzu. Seit 2006 folgten dann weitere 100 Exemplare. Von Reisen bringt er meist mindestens ein neues Stück für seine Sammlung mit. Diese hat er in einem Raum aufgehängt und aufgestellt. Es finden sich Darstellungen aus allen Teilen der Welt, in denen die orthodoxe Tradition Mehr- oder Minderheit ist. Auch aus Teilen Afrikas, des Nahen Ostens, der Türkei oder Albanien sind Werke zu finden. «Mir fehlen nur noch Ikonen aus sechs orthodoxen Ländern», sagt Hans Peter Werren und zählt diese auf: Zypern, Weissrussland, Moldawien, Eritrea, Montenegro und Indien. Ob und wann er dorthin reise, um sich auch dort eine Ikone zu suchen, sei aber ungewiss.

Ikonen auf Briefmarken
Seine Sammelleidenschaft sorgt immer wieder für Gesprächsstoff. So lernte er vor zehn Jahren auf einer Serbien-Reise einen Mann aus Berlin kennen, der nur Briefmarken mit Ikonendarstellungen sammelte. Diese Sammlung sei so umfangreich, dass viele, allen voran die Städte Berlin und Moskau, grosses Interesse daran hätten. Der Wert der Sammlung werde auf rund zehn Millionen Euro geschätzt, wurde ihm gesagt.

So viel materiellen Wert hat die Sammlung von Hans Peter Werren nicht. Aber der ideelle ist für ihn enorm gross. Gerne steht er davor, erfreut sich am Ausdruck und am goldenen Leuchten bei Kerzenschein, nutzt die besondere Atmosphäre des Raums zum Meditieren und Beten und ist dabei mit den Menschen aus jenen Ländern verbunden. Ganz wie seine frühere Katze, die sich jeweils gezielt vor jede neu erstandene Ikone gesetzt und im Zimmer ein Nickerchen gemacht hatte.

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