Weinland

Festessen für Störche

Als Zugvogel war der Storch bei uns im Winter eher selten zu sehen. Doch das Bild hat sich gewandelt: Gemäss der aktuellen Storchenzählung überwintern immer mehr in der Schweiz.

von Christina Schaffner
16. Januar 2024

Letzten Freitag konnte im Stammertal ein besonderes Spektakel beobachtet werden. Förster Christian Bottlang meldete der Andelfinger Zeitung: «Bauern machen etwas für die Biodiversität! Etwa 50 Störche haben sich beim Pflügen satt gefressen.» Das angefügte Foto untermalt diese Aussage eindrücklich.

Dabei ist der Storch eigentlich ein Zugvogel, der zum Überwintern nach Afrika oder wenigstens nach Südeuropa fliegt. Zumindest in früheren Zeiten war er deshalb im Winter bei uns nicht anzutreffen. Doch das hat sich geändert, wie die Storchenzählung Schweiz belegt, die am 6. Januar zum achten Mal stattfand.

Ein Drittel überwintert hier
Nicht nur die Gesamtpopulation der Brutvögel nahm in dem Zeitraum jedes Jahr um rund zehn Prozent zu. Auch die Anzahl derjenigen Vögel, die hier überwintern stieg deutlich. Waren es im Winter 2016/17 noch 288 Störche, so konnten die 200 Freiwilligen vorletzte Woche 912 Adebars in der ganzen Schweiz ausmachen. Dies sagt Peter Enggist von der Organisation Storch Schweiz. «Wir hatten wegen des Wetters weniger erwartet, da es an dem Samstag recht mild war.» In strengen Wintern würden sie sich in grossen Gruppen sammeln. Dies erklärt vielleicht, warum eine Woche später im Stammertal gleich 50 Störche gesichtet wurden.

Im Kanton Zürich wurden dieses Jahr 129 Störche gezählt, 29 davon im Neeracherried, wo die Amphibien, Würmer und Mäuse fressenden Vögel optimale Bedingungen vorfinden. Auf der Website von Storch Schweiz sind die aktuellen Zahlen aber noch nicht aufgeschaltet. Laut der letztjährigen Zählung harrt etwa ein Drittel der erwachsenen Brutvögel in der Schweiz aus.

Gesichtete Vögel gezählt?
Ob die am Freitag im Stammertal gesichteten Vögel eine Woche zuvor für den Kanton Zürich mitgezählt worden waren, ist nicht bekannt. Einerseits wurde dort nicht gezählt, andererseits könnte es sein, dass sie aus anderen Gebieten eingeflogen sind. Im Weinland fand sich nur ein Freiwilliger, der in Berg am Irchel zwei Störche zählte. Darunter ist der eine Storch, der das ganze Jahr in Berg am Irchel lebt und dort auch brütet. Seit Jahren ist er auch im Winter dort und im Flaacher Feld anzutreffen, da er nicht wegzieht – ganz im Gegensatz zu seiner Partnerin. Seit drei Jahren, seit 2020, brüten sie neben der Greifvogelstation und zogen dort bisher fünf Junge auf, wie Andi Lischke, Vogelexperte und Leiter der Greifvogelstation, auf Nachfrage sagt. Er setzte sich dafür ein, die Vögel hier wieder anzusiedeln, und erreichte dies durch einen Plastikstorch. «Dort, wo Störche sind, siedeln sich weitere an», erklärte er (AZ vom 3.4.2021).

Standvögel durch Wiederansiedlung
Das Phänomen, dass manche Störche wegziehen und andere dableiben, ist auch auf ein Wiederansiedlungsprojekt zurückzuführen. Nachdem der Storch in der Schweiz ausgestorben war, holte Lehrer Max Bloesch 1950 Störche aus Algerien für die Wiederansiedlung. Sie wurden in Altreu SO ausgewildert und besitzen nicht das Zugvogel-Gen. Im Gegensatz zu früheren bei uns heimischen Störchen und solchen, die noch heute in Osteuropa leben.

Neben dieser Gen-Frage sieht Andi Lischke noch einen weiteren Grund fürs Bleiben einiger Störche: «Sie überwintern vor allem dort, wo offene Fütterungen für in Gefangenschaft gehaltene Tiere stattfinden, wie zum Beispiel in Zoos.» An anderen Orten, wie etwa in Salem, würden sie absichtlich täglich gefüttert, um sie «zum Bleiben zu überreden».

Wildtier-Fütterung verboten
Dies sei aber nicht im Sinne der Tiere – zumal im Kanton Zürich das Füttern von Wildtieren seit dem 1. Januar 2023 verboten ist (Ausnahme Singvögel und Enten). Wer trotzdem füttert, muss mit einer Busse rechnen.

Der einzelne Bergemer Storch muss selber schauen, wie er über den Winter kommt – gefüttert wird er nicht. Seine Nachkommen scheinen dagegen das Zug-Gen der Mutter geerbt zu haben. Sie sind jeweils im Herbst weggezogen, wie dies für Jungstörche üblich ist. Nach zwei bis drei Jahren könnten sie zurückkommen. «Es ist aber fraglich, ob sie überleben», meint Andi Lischke. Auf der langen Reise lauern viele Gefahren.

Mit der Rückkehr des Weibchens rechnet der Vogelkenner im März und hofft, dass es auch in diesem Jahr lautes Geklapper über den Bergemer Dächern und dann im Horst junge Störche geben wird. Ob diese dann bleiben oder ziehen, wird sich zeigen.

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