Weinland

Von der Kunst, Sammlungen zu erben

Michele Kuntz hat von ihrer Mutter Norma Reimann ein Haus voller nostalgischer Dinge geerbt. Nach einem Jahr des Trauerns, Sortierens und Erinnerns weiss sie, welche Erbstücke sie behalten wird.

von Silvia Müller
06. Oktober 2023

Die Mutter war zeitlebens Künstlerin, Sammlerin und Gärtnerin aus Leidenschaft. Die Tochter wuchs inmitten schöner alter Dinge auf. Sie und die Sammlungen ihrer Mutter wurden gleichzeitig grösser. «Norma stammte aus Neuseeland und liebte den nostalgischen, viktorianischen Stil», erzählt Michele Kuntz. 

«Ich bin selbst auch jahrelang auf Antikmärkte gefahren und weiss, wie es abläuft: Man entdeckt ein erstes Exemplar von irgendetwas, verliebt sich, und dann sucht man weitere. Mit jedem Zuwachs wird die Sammlung emotionaler.» Ihre Mutter sammelte vieles – Papphasen und -eier, die einst mit Confiserie und Bijouterie gefüllt wurden, Weihnachts- und Osterschmuck, Spitzen, Näh- und Küchenutensilien, Geschirr, Möbel, Puppen, Bilder, Spielsachen, Vogelhäuschen, Hochzeitsdekorationen und Kunsthandwerk von Künstlerfreunden. Und sie baute selbst Puppenhäuser und Karusselle im Stil des 19. Jahrhunderts, um die antiken Miniaturspielsachen stilgerecht unterbringen zu können. Das Haus an Ossingens Ortsdurchfahrt füllte sich mit Dingen, die eigentlich in Museen gehören, deren Sammlergemeinde aber immer älter und kleiner wird.

«Ich wusste immer, dass all diese Sachen länger da sein werden als meine Mutter», sagt Michele Kuntz, doch sie habe sich deswegen nie Sorgen gemacht oder gar versucht, ihre Mutter vom Sammeln abzuhalten. «Sie hat noch bis wenige Wochen vor ihrem Tod Antiquitäten gekauft, und es liegt mir fern, ihr das vorzuwerfen. Denn das Sammeln hat sie glücklich gemacht, und sie hat wirklich schöne Objekte zusammengetragen.» Als das Ende absehbar war, fragte sie die Mutter, was denn mit all den Dingen geschehen sollte. «Sie antwortete nur: Mach damit, was du willst. Aber lass dir Zeit damit.»

Als der Tag dann da war, habe sich zur Trauer trotzdem auch etwas Panik und eine Art Wut angesichts des liebevoll vollgestopften Hauses gesellt. «Der grosszügige Freipass meiner Mutter konnte mich in den ersten Monaten nicht richtig entlasten.» Was immer sie dort in die Hände nimmt – von allem weiss sie, wie viel es ihrer Mutter bedeutete. «Meine eigenen Sammlungen hatte ich vor ein paar Jahren extrem reduziert, als wir von einem Haus in eine Wohnung zogen. Mit den Dingen meiner Mutter fällt mir dieser Schritt nun viel schwerer.» 

Freude und Erinnerungen weitergeben
Im Gespräch mit Sammlerfreundinnen ihrer Mutter stellte Michele Kuntz fest, dass sie viele der Objekte hinsichtlich ihres Wertes und der Nachfrage ganz falsch einschätzte. Deshalb liess sie zuerst Verwandte und Freunde Erinnerungsstücke aussuchen und dann ein Auktions­haus kommen. «Es war seltsam, dass an einigen Dingen meiner Kindheit plötzlich gelbe Kleber klebten. Sie nahmen vieles mit, aber vieles lies­sen sie da – nicht, weil es wertlos sei, sondern, weil die Nachfrage zu klein für den Aufwand einer Auktion sei», erzählt Michele Kuntz. 

An diesem Tag habe sie im letzten Moment einen Scherenschnitt gerettet, den die Mitarbeiter des Auktionshauses mitnehmen wollten: «Er stammt von Ursula Schenk, einer Freundin meiner Mutter. Mir war vorher gar nie aufgefallen, dass er unser Familienleben in Ossingen zeigt: unser Haus, den Garten, das Hühnerhaus, die Katze und unseren Hund und die Familie beim Spielen, Malen und bei der Gartenarbeit. Das ist für mich ein echtes Erbstück, das ich einst meiner Tochter weitergeben können möchte.» 

Doch was macht sie mit dem Rest? Im Haus steht so gut wie nichts, was man ohne schlechtes Gewissen in eine Mulde kippen könnte. Alles sieht rar, antik und einzigartig aus. Michele Kuntz hat den Wunsch ihrer Mutter beherzigt und sich Zeit gelassen. Sie fährt seither mehrmals in der Woche nach Ossingen, um den englischen Garten zu pflegen und stundenlang die Schätze ihrer Mutter zu sortieren. Dabei kam sie zu einem Entschluss: «Ich behalte von jedem ihrer Sammlergebiete ein Stück. Den Rest gebe ich gerne an Menschen weiter, die Freude daran haben.» Und sie erlaube sich, Dinge ihrer Mutter umzunutzen und daraus Neues zu gestalten. So wie es auch ihre Mutter mit den gesammelten Materialien machte. 

Seit dem Frühling dekoriert sie immer dann, wenn samstags der Bauernmarkt stattfindet, den Laden im Untergeschoss um. «Es bildete sich von Anfang an eine Stammkundschaft aus Sammlerinnen und Sammlern. Andere kamen, um eine Erinnerung an Norma mitzunehmen. Es war eine intensive und schöne Saison.» Wenn die Marktsaison endet, schliesse auch sie den Laden für immer. 

«Einmal ist Schluss. Mein Rat an Erben von Sammlungen: Nicht im ersten Reflex alles wegwerfen – das Sortieren und Abklären sind auch Arten, mit der Trauer umzugehen.» Wer es sich leisten könne, solle sich Zeit lassen. «Und die Familie und Freunde der Verstorbenen um Hilfe bitten. Das kann auch ihnen den Abschied erleichtern.»

Samstag, 14. Oktober, 9 bis 16 Uhr: «Pandora» an der Andelfingerstrasse 12 öffnet zum letzten Mal. Auf Vereinbarung sind auch später noch Termine möglich (079 300 77 93).

Das besondere ErbstĂĽck

Die Essigmutter von der Grossmutter, die Cabriosammlung vom Götti: Ob Erbstücke Freude oder Last sind, hat oft wenig mit ihrem materiellen Wert zu tun. Haben Sie etwas geerbt, das für Sie von besonderer Bedeutung ist, und möchten Sie Ihre Freude und Gedanken mit den AZ-Leserinnen und -Lesern teilen? Melden Sie sich gerne unter 052 305 29 08 oder redaktion@andelfinger.ch. (sm)

War dieser Artikel lesenswert?

Zur Startseite