Weinland

Für die Gärtner ohne Garten

Schrebergärten sind Rückzugsort, Selbstversorgungsprojekt, aber auch Experimentierfläche. Für den dritten Teil unserer Gartenserie haben wir Pächterinnen und Pächter im Weinland besucht.

von Tizian Schöni
08. August 2023

Zu jedem Haus gehört ein Garten. Was heute schwer nach Binsenweisheit tönt, war früher feste Regel. Denn Gärten trugen bis weit ins 20. Jahrhundert einen beträchtlichen Teil zur Selbstversorgung bei. Kein Wunder, war in den Arbeitersiedlungen in Winterthur jeder Wohnung ein kleiner Garten zugewiesen. Mit der zunehmenden Überbauung der Ortszentren und den engen Wohnverhältnissen in den Städten und Dörfern wurden Gärten immer mehr an die Ränder der Siedlungen verdrängt.

Aus dieser landschaftlichen Veränderung entsprang in Deutschland die Idee der Gartenkolonien, in denen kleine Pflanzflächen gepachtet oder gemietet werden konnten. Namensgeber dieses Konzepts war der Arzt Daniel Gottlob Moritz Schreber, in seinem Umfeld entstand eine erste Kleingartensiedlung in Leipzig. Noch einmal kräftigen Auftrieb erhielten die Gartenparzellen durch die Versorgungsnotlage im Ersten Weltkrieg. Wer einen eigenen Garten besass, konnte ernten, was in den Geschäften längst nicht mehr verfügbar war.

Auch im ländlichen Weinland fasste die Idee Fuss. Wie die einzelnen Parzellen zustande kamen, lässt sich trotz Gesprächen mit Amtsträgerinnen und historisch bewanderten Personen aus den Ortschaften nicht mehr sicher rekon­s­truieren. Ein ehemaliger Gemeindepräsident aus Andelfingen erinnert sich, dass man in den 80er-Jahren einen Plan der Gärten angelegt habe. Eigentliche Pachtverträge, die in der Kanzlei hinterlegt sind, gibt es aber erst seit ungefähr 20 Jahren. Am besten wissen es oft diejenigen, die für einen kleinen Betrag die Gartengrundstücke mieten – die Pächterinnen und Pächter. Diese Zeitung hat drei von ihnen besucht. Aber lesen Sie selbst!

Schrebergärten sind Biodiversitätsflächen
Dachsen: Statt Schneckenkörnern liegen Hanfschnitzel und Schafwolle zwischen den Salaten. «Die haben die Tierchen nicht gern», sagt Jeanette Spross. Die Schnitzel blieben theoretisch an den Schnecken kleben. Mit der Wolle, die sie von einer befreundeten Hirtin kostenlos erhalten, habe es aber überhaupt nicht geklappt. Er habe das Gefühl, dass sich die Schnecken auf der Wolle eher wohlfühlten, sagt Lenny Spross. Gemeinsam mit dem Püntenbesitzer Rick Odermatt bewirtschaften die drei eine Parzelle in den Dachsemer Schrebergärten. Etwas Positives können sie der Wolle, die das Beet wie eine späte Schneedecke überzieht, aber doch abgewinnen: Sie speichert in trockenen Zeiten die Feuchtigkeit. «Und gibt sogar noch Stickstoff in den Boden ab», ergänzt Lenny Spross. Er lässt sich in Wädenswil zum Umweltingenieur ausbilden, der Garten ist für ihn auch Versuchslabor. «Bei uns wird nicht so viel gejätet wie in anderen Gärten», erzählt Jeanette Spross, und der Boden werde nie ganz umgeworfen. Stattdessen setzen die drei auf schonendere Ansätze: Bestimmte Fruchtfolgen und Gründüngungen, also die Bepflanzung von Beeten mit Kulturen, die nicht geerntet werden und ihre Nährstoffe in den Boden zurückgeben. Den Schrebergarten schätzen sie: Man könne sich mit anderen Gärtnerinnen und Gärtnern austauschen. Manchmal würden die Methoden der Jungen mit einem skeptischen Blick betrachtet, erzählen sie. «Willst du nicht wieder mal jäten?», werde dann über die Hecke gefragt. In die anderen Gärten blicken sie nur neidisch während der Rhabarbersaison: «Die kommen bei uns einfach nicht.» Für die drei ist der Schrebergarten mehr als Lebensmittelanbau. «Ich habe früher oft hier Mittagspause gemacht», sagt Rick Odermatt, der schon in der Nähe gearbeitet hat. Und die gemütlichen Schrebergartenabende seien im Freundeskreis längst bekannt.

Seit 50 Jahren in derselben PĂĽnt
Andelfingen: 1966 ist Hans Burkhart nach Andelfingen gekommen, und ungefähr seit den 70er-Jahren bewirtschaftet er seine Pünt neben dem Schwimmbad. An das genaue Datum erinnert er sich nicht mehr. Aber daran, dass er das Gartengrundstück vom «Chefiwärter» übernommen habe. Dieser sei damals noch mit den Häftlingen hier heruntergekommen, um Gemüse für die Gefängnisküche anzubauen. «Er het glueget, und die hend gschaffet», erzählt er mit einem Schmunzeln von seiner Erinnerung. Eine Pünt hatte er schon in Pfungen, übernommen von seiner Mutter. «Dort konnte man nur einmal im Jahr pflanzen», sagt der heute 88-Jährige. Der Boden sei sehr hart gewesen, das Grundstück lag in einer ehemaligen Lehmgrube der Ziegelei. «Das ist hier ganz anders», der Boden sei viel lockerer. Die Pünt gefällt Hans Burkhart aber auch sonst: Man sei hier nicht «ausgestellt», und für fast jeden Pächter gebe es einen eigenen Wasseranschluss. In seinem Garten wachsen vier Tomatensorten, Zucchetti, Bohnen, Himbeeren (frühe und späte), Brombeeren, Salate und noch einiges mehr. Am Gartenhäuschen sind Zwiebeln und Knoblauch zum Trocknen aufgehängt, und seit Kurzem hat er ein Hochbeet, das Tochter und Enkelinnen ihm geschenkt haben. Nur zu heiss sei es dieses Jahr, sagt er und zeigt eine Tomate, die auf einer Seite wie angebrutzelt wirkt. «Am Mittag liegt mir der Krautstiel regelmässig ab.» Seine Ernte darf er laut Pachtvertrag nicht verkaufen. Deshalb verschenkt er, was er nicht selber isst, an die beiden Püntennachbarn, Freunde oder Verwandte. 45 Jahre war Hans Burkhart als Heizölchauffeur Lastwagen gefahren, im Sommer 2000 wurde er pensioniert. Wenn er nicht gerade jätet, giesst oder sät, ist er mit dem GA in der ganzen Schweiz unterwegs. Man müsse dem Garten auch mal sagen können: «Jetz isch gnueg.»

Warum die Tomaten nicht wachsen wollen
Henggart: Assunta Verzino plagen die Tomaten: «Früher, als mein Vater noch gelebt hat, haben wir die Stauden erst im September herausgerissen, heute ist schon im August fertig», sagt sie.  Tatsächlich sind die Tomaten auf ihrer Parzelle noch nicht besonders hoch. Ob man nicht eine Bodenprobe nehmen könne, um dem Problem auf den Grund zu gehen, fragt sie Fritz Krienzer, den Verwalter der «Familiengärten». Doch der winkt ab: Das Glück mit den Tomaten sei von Jahr zu Jahr anders, und manche hätten einfach einen grünen Daumen. Assunta Verzino bleibt misstrauisch: «Früher haben wir im Sandacker oben gepflanzt. Nicht gedeckt, nicht gespritzt – die schönsten Tomaten!» Seit etwa drei Jahren bewirtschaftet sie die Parzelle nahe den Bahngleisen, fast jeden Tag ist sie im Garten. Die gebürtige Italienerin ist die Arbeit gewohnt: Sie wuchs auf einem Bauernhof auf, 1968 kam sie mit der Familie in die Schweiz. Ihr Mann arbeitete bei Sulzer in Winterthur, sie war in der Bäckerei und Konditorei Schläpfer in Henggart angestellt. Später zog es die Familie zurück nach Italien, wo sie es mit der Landwirtschaft versuchte. «Wir hatten etwa 35 Kühe, die produzierten gut 300 Liter Milch am Tag», sagt Assunta Verzino. Am Ende des Monats sei regelmässig etwas Geld hereingekommen. Doch mit der Einführung der Milchquote sei dieses Geschäft weggebrochen. «Sie holten 50 Liter ab, und den Rest konnten wir selber trinken», erzählt die heute 74-Jährige. Heute sorgt die Grösse ihres Gartens statt für eine Milch- für eine Gemüseschwemme. Sie habe eine Zucchinisorte gepflanzt, «die werden so gross!», und streckt die Arme wie ein Fischer auseinander, wenn er die Grösse seines Fangs zeigt. Das esse sie natürlich nicht alles alleine. Sie verschenke vieles an die Schwiegertochter und die Enkelkinder. Wenn sie nur etwas mehr Gemüse ässen.

Pünt und Pflanzblätz
Der mittelalterliche Begriff «Pünt» stammt aus einer Zeit, in der das ganze Dorf die umliegenden Felder gemeinsam bewirtschaftete. Das Vieh lief frei herum, mit einem Weidenzaun eingehagt wurde stattdessen das Dorf. Und eben die «Biunta», Althochdeutsch für «das Umzäunte» – kleine Landstücke, auf denen die Bauern individuell für den Eigenbedarf pflanzten. Nach der Agrarrevolution trat der «Pflanzblätz» an die Stelle der Pünt. Unter ihm versteht man ein Stück Acker, das stärker gedüngt und oft von Hand gepflügt wurde, um es für den Gemüseanbau fit zu machen. (tz)

Welt der Gärten
Es gibt sie in allen Formen, sie werden leidenschaftlich umsorgt, damit sie erblühen und gedeihen: die Gärten. Über den Sommer wirft die Redaktion einen Blick hinein. (az)

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